Neuauflage zum 50. Geburtstag des Schriftstellers - Daniel Kehlmann: "Beerholms Vorstellung"
Seit er mit "Die Vermessung der Welt" einen fulminanten Bestseller landete, mit "Ruhm", "Tyll" und "Lichtspiel" erfolgreich nachlegte und sich immer wieder in kulturpolitische Debatten einmischte, gehört Daniel Kehlmann zu den wichtigsten literarischen Stimmen der zeitgenössischen Literatur. Für seine Romane, Essays und Theaterstücke hat der 1975 in München geborene, in Wien aufgewachsene und inzwischen in Berlin und New York lebende Autor unzählige Preise eingeheimst. Jetzt feiert der Autor seinen 50. Geburtstag. Grund genug für den Zsolnay Verlag, ins Archiv zu steigen und "Beerholms Vorstellung", Kehlmanns Romandebüt von 1997, neu aufzulegen.
Man glaubt es kaum, aber "Beerholms Vorstellung" war damals alles andere als ein Kassenschlager. Vielleicht war das Debüt des 22-jährigen Autors zu vertrackt konstruiert, zu verspielt erzählt, zu voll gestopft mit Hinweisen auf Mythen und Märchen und die großen Werke der Weltliteratur: Kehlmann sondiert seinen literarischen Handwerkskasten, jongliert mit formalen Mitteln und stilistische Varianten, sucht den passenden Ton für seine ironische Sicht auf die widersprüchliche Welt der Fakten und Fiktionen.
Dem Zeitgeist ein Stück voraus
Aus allen Ritzen lugen die erotischen Versuchungen von Vladimir Nabokov hervor, der magische Realismus von Gabriel García Márquez, die flatterhaften Luftgeister von Shakespeare, die semantischen Finessen von Umberto Eco, die erzählerische Genialität von Thomas Mann. Wie später in "Die Vermessung der Welt" und den Folgeromanen ging es Kehlmann schon damals um das Überschreiten der Grenze zwischen Wirklichkeit und Fantasie, um Realität, die sich in Fiktion verwandelt durch einen Erzähler, bei dem man nie weiß, welches Spiel er spielt. Kehlmann probierte literarische Zaubertricks, nur wollten ihm Kritik und Publikum noch nicht folgen: Er war dem Zeitgeist ein Stück voraus.
Der weite Weg zum weltberühmten Zauberer
Arthur Beerholm heißt der traurige Held und durchaus unzuverlässige Ich-Erzähler, der seine Lebensgeschichte scheinbar ganz offen ausbreitet, aber vielleicht auch einfach nur augenzwinkernd erfindet. Er spielt mit Worten, turnt auf dem schmalen Grat zwischen Traum und Realität, hat sein Leben der Magie und Illusion gewidmet und schließlich sogar das Gefühl, die Welt nach seinem Willen formen zu können. Doch zum weltberühmten Zauberer ist es ein weiter Weg: Von seinen leiblichen Eltern verlassen, wächst er bei den Beerholms auf. Er ist ein einsamer Junge, der seine Pflegemutter abgöttisch liebt, und dem es das Herz zerreißt, als sie von einem Blitz tödlich niedergestreckt wird. Für Arthur ein schrecklicher Schicksalsschlag und ein Fingerzeig Gottes. Deshalb beschließt er, Theologie zu studieren und findet im blinden Pater Fassbinder einen weisen Begleiter durch den Dschungel der Religionen.
Doch die weltlichen Verführungen sind zu groß und das Schweigegelübde in einem Kloster ist zu bitter: Also also erinnert er sich an die Kartentricks, die als Jugendlicher beherrschte, und findet in Jan van Rode einen magischen Meister, mit dessen Hilfe er einen kometenhaften Aufstieg zum weltberühmtem Zauberkünstler hinlegt.
Die Welt liegt ihm zu Füßen, die Medien reißen sich um ihn, aber auf dem Höhepunkt des Ruhms reicht es ihm nicht mehr aus, das Publikum zu täuschen. Er sieht sich als Wiedergänger von Merlin, dem Urvater der Magie, und setzt sein Leben aufs Spiel, um mit einem vielleicht letzten Trick den eigenen Tod in die Irre führen zu können.
Verwechslung von Traum und Wirklichkeit
Der Titel "Beerholms Vorstellung" ist ein Verwirrspiel: Es geht nicht um eine einzelne "Vorstellung" oder Auftritt als Zauberer, sondern darum, dass sein Leben vielleicht eine Einbildung und Vorstellung ist, eine Inszenierung, wie auch sein Lebensbericht nur eine Erfindung und ein Traum ist. Oder sein könnte: Wer weiß das schon? Denn im dritten von zwölf Kapiteln träumt der junge Arthur, er würde in ein Kloster eintreten und dort den blinden Pater Fassbinder treffen, der ihn über seine Ansichten zum Glauben und zu Gott befragt.
Der Traum geht nahtlos in die weitere Handlung über, in der Arthur dann bei Pater Fassbinder in die Lehre und in ein Kloster gehen wird, bevor es ihn hinauszieht in die Welt der Magie, die ja auch nur auf Illusionen und Träumen beruht. Vielleicht also wacht Arthur gar nicht mehr auf aus seinem Tiefschlaf und verwechselt seinen Traum mit der Wirklichkeit: Aber was ist wahr und wirklich, wenn ein Zauberer seine Lebensgeschichte erzählt und angeblich allein mit der Kraft seiner Vorstellung in der Lage ist, Gegenstände zum Tanzen und einen Busch zum Brennen zu bringen?
Magische Reise durch eine wundersame Geschichte
Die Wiederentdeckung und Lektüre des Romans, der vor 28 Jahren kaum Beachtung fand, ist mehr als lohnenswert, hat er doch Züge eines genialen Frühwerks: Alles, was den Autor unverwechselbar macht, ist hier angelegt: seine enzyklopädische Belesenheit, seine ironische Sicht auf den Wahnsinn der Welt, seine erzählerische Raffinesse, sein Spiel mit surrealen Fiktionen, sein Beharren darauf, dass es zwischen Himmel und Erde irrationale Dinge gibt, die wir uns zwar nicht erklären können, aber die Realität erträglich und lebenswert machen und Utopien einer anderen, besseren Welt beherbergen.
Der durch sein Leben irrlichternde Erzähler flunkert ständig und nimmt den Leser mit auf eine magische Reise, bei der man als Erzähler von einem Fernsehturm springen und die sieben Sekunden bis zum Aufprall - hoffentlich? vielleicht? - dazu nutzen kann, die Physik zu überwinden und den Tod mit einem Zaubertrick zu überlisten. Irgendwie muss es möglich sein: Wie sollte sonst Arthur uns nach seinem beherzten Sprung in den Abgrund diese wundersame Geschichte erzählen können?
Frank Dietschreit, radio3