Roman - Édouard Louis: "Monique bricht aus"
Der französische Autor Édouard Louis wurde zum Star der autofiktionalen Literatur, indem er über sich selbst, seine Herkunft aus Elendsverhälktnissen in der Provinz, seine Homosexualität, seine von Gewalt geprägte Familie geschrieben hat. Er schrieb Bücher über seinen gewalttätigen Vater, über seinen Bruder und über die Mutter und ihre Flucht aus diesen Verhältnissen. Doch das war offenbar noch nicht genug. Das neue Buch von Édouard Louis handelt erneut von seiner Mutter und von ihrer Flucht aus einem Gewaltverhältnis.
Die Geschichte seiner Mutter hat Édouard Louis schon einmal aufgeschrieben, jedenfalls die Geschichte ihrer Flucht vor seinem gewalttätigen Vater. Auch über den Vater und über seinen Bruder hat er Bücher geschrieben, um jetzt erneut auf die Mutter zurückzukommen, die, gewissermaßen als Wiederholung, auch ihren nächsten Mann verlassen musste, um endlich, mit Mitte 50, zum ersten Mal alleine zu wohnen und ein selbstbestimmtes Leben als Frau zu beginnen.
Selbsterfindung als radikaler Vertreter des autofiktionalen Schreibens
Seine wichtigsten Bücher allerdings handelten von ihm selbst. In "Das Ende von Eddy" und "Anleitung ein anderer zu sein" beschrieb er den eigenen Abschied von der Unterschicht, seine Homosexualität, und die Verwandlung des Jungen aus der Provinz in einen Pariser Intellektuellen. Damit hat er sich selbst als einen der radikalsten Vertreter des autofiktionalen Schreibens erfunden. Das sind allerdings auch die Grenzen seines Schreibens, die er auch dann nicht überschreitet, wenn es um die Mutter geht. Letztlich dreht sich alles vor allem um ihn selbst. Die Frage, wie viele Bücher sich aus seiner Familiengeschichte noch herauspressen lassen, sei mal ganz dahingestellt.
Ein schmales Werk, das nicht viel Neues bietet
In seinem neuesten, sehr schmalen Werk "Monique bricht aus" werden diese Mängel überdeutlich. Viel Neues bietet die Wiederholung der Trennungsgeschichte der Mutter nicht. Nur mit Hilfe des Sohnes, Édouard Louis, schafft sie den Sprung. Während er selbst sich als Stipendiat in Athen aufhält, bietet er seine Pariser Wohnung der Mutter als erstes Asyl an, um sie dort mit Lebensmittellieferungen zu versorgen und ihr eine Wohnung auf dem Land zu verschaffen, in dem Dorf, in dem auch seine Schwester lebt. Er ist der Helfer aus der Ferne, der von dort aus aber immer genau weiß, was die Mutter braucht und woran sie krankt.
Kein Ausweg aus der Narzissmusfalle
Seine Fürsorgeleidenschaft kommt ihm selbst gelegentlich verdächtig vor, aber man muss gar nicht psychologisieren, um die paternalistische Haltung, die dahintersteckt, unangenehm zu finden. Indem Louis die Familienverhältnisse literarisch ausbeutet, macht er die Figuren der Familie zu seinen literarischen Objekten.
Die Schwester war darüber erzürnt und brach den Kontakt zu ihm jahrelang ab. Die Mutter, so erzählt er im neuen Buch, beglückte er damit. Denn "Die Freiheit einer Frau" – das erste Buch über sie – wurde in Hamburg als Theaterstück inszeniert. Louis und seine Mutter waren bei der Premiere zu Gast und betraten nach der Vorstellung beifallumtost die Bühne. Sie genoss den Augenblick, in dem sie zur Heldin ihres eigenen Schicksals wurde. Das ist rührend zu lesen, aber kein Ausweg aus der Narzissmusfalle, in der Edouard Louis mit seinem erzählerischen Programm steckt: Schließlich bleibt er der Großmeister der Erlösung der Mutter.
Anti-Literatur
Die These, auf die sich "Monique bricht aus" reduzieren lässt, ist so plump wie trivial. Freiheit ist demnach keine Frage der Symbolik oder der Ästhetik, sondern allein der finanziellen Verhältnisse. So spielte Louis sogar mit dem Gedanken, in seinem Buch am Rand wie auf einer Rechnung die Ausgaben aufzulisten, die nötig waren, um die Flucht der Mutter zu finanzieren, Kosten für Taxifahrten, Wohnung, Rücklagen, Lebensmittel und so weiter. Er unterließ es nur, weil das so ausgesehen hätte, als wolle er mit ihr abrechnen, anstatt die Kosten der Freiheit zusammenzurechnen.
Dass Unabhängigkeit mehr ist als nur die Bedingung der Möglichkeit, selbstbestimmt zu leben, kommt ihm nicht in den Sinn. Dass Freiheit nicht nur Freiheit von, sondern Freiheit für etwas bedeutet, hätte er zum Beispiel bei Sartre nachlesen können. Ohne diesen Horizont bleibt er gefangen in schlichtem Materialismus und platter Moralisiererei.
Auch sprachlich bietet Édouard Louis in "Monique bricht aus" wenig. Sein literarisches Programm besteht erklärtermaßen darin, alles Literarische abzulehnen und so etwas wie Anti-Literatur herzustellen, also die Wirklichkeit unverstellt sichtbar werden zu lassen. Das ist einigermaßen naiv, weil Wirklichkeit nicht fertig vorliegt, sondern sich in der Sprache, im erzählerischen Prozess verwirklicht. Bei Édouard Louis wird vor allem erkennbar, wie großartig er sich selbst findet: als Helfer der armen Mutter ebenso wie als Schriftsteller. Viel mehr aber hat "Monique bricht aus" nicht zu bieten.
Jörg Magenau, radio3