Wolf Haas: Wackelkontakt © Hanser Verlag
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Roman - Wolf Haas: "Wackelkontakt"

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Ein Wackelkontakt im wirklichen Leben ist immer ärgerlich, vielleicht sogar gefährlich. Ein literarischer Wackelkontakt ist dagegen ein großer Spaß, jedenfalls der Wackelkontakt, der dem neuen Roman von Wolf Haas den Titel gegeben hat. Weil die Steckdose in seiner Küche kaputt ist, hat Franz Escher den Elektriker bestellt. Die Wartezeit vertreibt er sich, indem er ein Buch liest, das von dem Mafia-Kronzeugen Elio Russo handelt.

Russo hat so viele seiner Leute verraten, dass er zu seiner eigenen Sicherheit in einer Gefängniszelle sitzt, von wo aus er, mit einer neuen Identität ausgestattet, die Reise nach Deutschland und in ein neues Leben antreten soll. Die Wartezeit vertreibt er sich, indem er ein Buch liest. Darin geht es um einen gewissen Franz Escher, der auf den Elektriker wartet. Der kommt endlich auch und stirbt in der Küche an einem Stromstoß. Franz Escher ist daran nicht ganz unschuldig.

Spiel mit verschiedenen Fiktionsebenen

So könnte ein Krimi beginnen, die Leiche ist ja schon da. Wolf Haas erzählt aber zwei Geschichten gleichzeitig, die er zu einen Stromkreis mit wechselnden Spannungsverhältnissen zusammenschaltet. Wie er das macht, ist atemraubend und hat eigentlich nur den Nachteil, dass man nichts davon verraten darf, weil die Lektüre von der wachsenden Spannung und der Überraschung lebt. Die beiden Geschichten verlaufen nicht einfach parallel, auch wenn das zunächst so aussieht. Haas will mehr als bloß die schlichte Buch-im-Buch-Verknüpfung. Vielmehr verdreht er die beiden Plots wie Kabelstränge ineinander, bis sich die Spannung in einem erzählerischen Kurzschluss entlädt. Es ist ein Spiel mit verschiedenen Fiktionsebenen, die sich ein ums andere Mal, mit jeder Umdrehung, noch einmal verdoppeln.

Der Zeitverlauf als Schleife

Das Allegorische liefert Haas dabei gleich mit. Das gilt nicht nur für die Metaphern aus der Welt der Elektronik, sondern auch für den Namen Franz Escher. Er verweist auf den Maler M.C. Escher, der mit seinen surreal verdrehten Wirklichkeiten berühmt wurde: Treppen, die endlos im Kreis abwärtsführen oder Bachläufe, die im eigenen Ursprung münden. Weil Franz Escher Escher heißt, hat er zu seinem 19. Geburtstag ein Tausend-Teile-Puzzle mit so einem Escher-Bild bekommen, was in ihm eine lebenslange Puzzle-Leidenschaft entzündet hat. Das ist dann schon die nächste Allegorie für diesen Roman, der selbst als großes Puzzlespiel angelegt ist. Man will es schon deshalb lösen, um zu wissen, ob sich endlich auch das allerletzte Teil einfügen lässt.

Das gelingt, allerdings auf merkwürdige Weise. Denn die beiden Erzählstränge verlaufen in einem völlig unterschiedlichen Zeitmodus. Während auf der Seite von Franz Escher, der sein Geld als Trauerredner verdient und gerne auch die Rede am Grab des armen Elektrikers halten würde, nur wenige Tage vergehen, durchlebt Elio Russo unter seinem neuen Namen Marko Steiner Jahrzehnte, allerdings immer unter der Drohung, von der Mafia entdeckt und liquidiert zu werden. Dennoch laufen die beiden so weit voneinander entfernt beginnenden Erzählstränge zielstrebig aufeinander zu, bis schließlich Ende und Anfang ineinandergreifen wie auf einem Escher-Bild. Unsere Vorstellung von der Zeit ist zu linear, heißt es an einer Stelle, das sei falsch. Vielmehr müsse man sich den Zeitverlauf "wie eine Schleife" vorstellen. Genau das führt Haas mit seiner Romankonstruktion vor.

Ein großer Spaß, ein aufregendes Spiel, ein Puzzle

Man könnte über das Spiegelverhältnis der beiden Geschichten auch sagen: das Rätsel des Lebens ist nur durch Lektüre, nur innerhalb der Literatur zu lösen. Die Lust, die Wolf Haas an diesem Verwirrspiel hat, ist dem Buch auf jeder Seite anzumerken. Das ist höchst vergnüglich und unterhaltsam. Allerdings auch nicht mehr. Es gibt keine tiefere Bedeutung, keinen doppelten Boden (der verzwickten Doppelgeschichte zum Trotz), nichts Hintergründiges. Es ist, was es ist: ein großer Spaß, ein aufregendes Spiel, ein Puzzle. Aber vielleicht ja doch auch eine Allegorie für die Unverfügbarkeit des Lebens.

Jörg Magenau, radio3

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