Gedichte - Bård Torgersen: "In Frieden ruhen"
Im März dreht sich alles um Literatur, mit zahllosen Neuerscheinungen, vor allem auf der Leipziger Buchmesse und zum heutigen Tag der Poesie am 21. März. Aus dem Gastland Norwegen erscheint passend dazu ein ungewöhnlicher Poesieband im Elif Verlag: "In Frieden ruhen" des Dichters Bård Torgersen, der zugleich als Punk- und Elektromusiker bekannt geworden ist und hier über Alkoholismus und Tod schreibt.
"nicht zu trinken
kann genauso trinkig sein
wie das Trinken
das Nicht-Trinken
erweist sich als noch trinkiger
als das Trinken
natürlich kann ich trinken“
Wenn der Norweger Bård Torgersen schreibt, könnte er genauso gut singen:
"(...)
subjektiv objektiv
Subjekt Objekt
subjektiv objektiv
Subjekt Objekt
subjektiv objektiv
Subjekt Objekt
subjektiv objektiv
so ein schöner Klang
in diesen Worten
stecken Kreise“
Torgersen war auch tatsächlich Musiker, bevor er 2005 sein erstes Buch veröffentlichte und als Romanautor und Lyriker in Norwegen Bekanntheit erlangte. Punk und vor allem Elektro waren seine Musik und sie klingen in seinen literarischen Werken durch. Die Alben seiner diversen Bands tragen Titel wie "All der Dreck, den ich in den Müll werfe, wird nachts zu Sternen" oder "Der leere Raum denkt".
Aufregender Hybrid aus Lyrik und Prosa
Torgersen ist weder auf ein Musik- noch auf ein literarisches Genre klar festzulegen, er greift sich von allem etwas und mixt es zu etwas Neuem, Aufregendem:
"Ich ging im Uhrzeigersinn um die Turmspitze herum, sang beinah, wieder und wieder dieselben Worte, hätte mich jemand gesehen, der mich kennt, hätte er gedacht, jetzt hat er sich vollends verloren, und ich hätte gesagt, nein, das habe ich leider nicht, es sind immer noch Reste vorhanden, die weggekratzt werden müssen."
"In Frieden ruhen" ist das erste ins Deutsche übersetzte Werk des Norwegers. Der Berliner Autor und Verleger Dinçer Güçyeter hat sich mit seinem Elif Verlag an diesen Hybrid aus Roman und Lyrik gewagt – und die Übersetzerin Katrin Spitz schafft es wunderbar zwischen den zugleich rauschhaft komponierten stakkatoartigen Verszeilen und klassisch erzählter Prosa zu springen.
"Es ist möglich, allen Büchern des Landes die Seiten herauszureißen und Papierflieger daraus zu falten aber die Freude, die du fühlst wenn du drei Monate nicht getrunken hast kannst du nicht messen."
Gedichte über die, die im Schatten stehen
Der Erzähler trinkt und trinkt nicht, möchte sich zugleich dem Rausch hingeben und ihn nie wieder spüren, möchte sich zerstören und retten. Sein Bruder hat sich zu Tode getrunken und er muss sich entscheiden: Folge ich ihm oder nicht. Er muss die Reue ertragen, seinem Bruder nicht geholfen zu haben, seinem Bruder sogar den Tod gewünscht zu haben. Und er sucht und sammelt Erinnerungen, die den geliebten Bruder wieder zum Leben erwecken.
"ja
ich schreibe
immer noch
Briefe
an
meinen Bruder
und
er ist es, der
kommt
und sie nimmt
in
der Nacht
wenn er glaubt, ich
schlafe“
Doch Bård Torgersen kreist nicht nur um die Trauer um seinen Bruder, er schreibt über Begegnungen mit den Menschen, denen fast nie Gedichte gewidmet werden: Obdachlose, Junkies, einsame Verwirrte - und immer wieder Trinker, wie den, der beim Stehlen erwischt wird und sich vor seinem Verfolger retten muss:
"aber der Säufer wusste sich zu helfen
stoppte abrupt
zog eine kleine Flasche
Wodka aus der Innentasche
schraubte sie ruckzuck auf
setzte die Flasche an den Mund
leerte sie mit einem Zug
sank zusammen wie ein Sack
blieb auf dem Boden liegen
die Flasche noch
im Maul hängend
wie ein Babyfläschchen
gurgelte und brabbelte
und der Kampfsporttyp konnte nicht
anders, als ihn liegen zu lassen
in Frieden
hockte sich hin
breitete seine Jacke über ihn“
Eine wilde Reise durch das menschliche Elend
"In Frieden" – wie der Titel suggeriert – "ruhen" hier tatsächlich nur die Betrunkenen und die Toten. Die anderen folgen dem Erzähler atemlos auf dieser wilden lyrischen Reise durch Sucht und Trauer und das Elend des menschlichen Daseins.
Das Glatte und Schöne ist nichts für Bård Torgersen, zumindest nicht für sein Schreiben:
"Und ich dachte, der Himmel ist eine Ebene, unendlich in alle Richtungen, und es gibt keinen Rand, von dem man fallen könnte, und es gibt niemand anderen oder nichts anderes, an dem man sich stoßen könnte, und deshalb, dachte ich, ist der Himmel ein Ort, an dem ich nicht sein will."
Irène Bluche, radio3