Nina Bussmann: Drei Wochen im August © Suhrkamp
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Roman - Nina Bußmann: "Drei Wochen im August"

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Nina Bußmann, geboren 1980 in Frankfurt am Main, hat für ihre ersten drei Romane viel Anerkennung und auch einige Preise bekommen. In Kritiken wurde sie sogar als "frühvollendet" bezeichnet. Jetzt ist der vierte Roman der "Frühvollendeten" erschienen.

"Drei Wochen im August" – das klingt nach Urlaub, und so ist es auch. Die französische Atlantikküste bildet die Kulisse für diese flirrende Sommergeschichte, den vierten Roman von Nina Bußmann. Im Mittelpunkt einer nicht ganz einfachen Familienkonstellation stehen zwei Frauen. Elena, Mitte 40, genau wie die Autorin, arbeitet in einer Künstleragentur und hat das Angebot ihrer Chefin dankend angenommen, ein Haus an der französischen Atlantikküste zu nutzen. Es liegt abseits, ein paar Kilometer vom Strand entfernt, so dass die Figuren hier ganz auf sich geworfen sind. Ihr gegenüber oder zur Seite steht Eve, das bezahlte Kindermädchen, das aber zugleich vertraut oder gar eine Freundin ist. Wie Intimität und Abhängigkeit zusammengehen, ist die Keimzelle dieser Geschichte.

Eine nicht ganz einfache Familienkonstellation

Eigentlich braucht es kein Kindermädchen mehr, denn die Tochter Linn ist dreizehn und sehr mit sich beschäftigt. Ihr Übergewicht versucht sie unter viel zu großen Männer-T-Shirts zu verbergen. Ganz anders ihre adrette Freundin Noemi, die die Welt mit Hygienesprays bekämpft. Aber da ist auch noch der kleine Rinus, der wegen Sprach- und Schreibschwierigkeiten wieder aus der Schule genommen worden ist und tatsächlich auf das Kindermädchen angewiesen. Der Vater, Kolja, fehlt. Er ist Unternehmensberater, hat viel zu tun, und kommt vielleicht später nach. Die Männerrollen werden von anderen besetzt: Eines Tages taucht Franz auf, begleitet von einem Mädchen, das seine Tochter sein könnte, aber nicht ist, und macht sich im Haus breit, ebenso wie der selbsternannte, dubiose Hausmeister Ilyas.

Wahrnehmungsdifferenzen

Alles bleibt gezielt im Unklaren. Nina Bußmann vermisst die Beziehungen und Verhältnisse unentwegt neu. Psychologisch präzise beschreibt sie ohne zu moralisieren, wie ihre Figuren sich zu orientieren versuchen und fest Boden unter den Füßen gewinnen wollen. Dafür nutzt sie in stetem Wechsel die Ich-Perspektiven von Elena und Eve. Wir sehen die beiden also abwechselnd von innen heraus und mit fremden Augen. Das ergibt unterschiedliche Erzählungen oder Gewichtungen. Dem ist nicht immer ganz leicht zu folgen, weil die beiden sprachlich sehr ähnlich sind. Das ist nicht immer ganz trennscharf. Der Reiz der Lektüre besteht aber vor allem in den Wahrnehmungsdifferenzen. Selbsteinschätzung und der Blick von außen können diametral auseinanderliegen, ohne das klar ist, wer nun richtig liegt. Klar wird nur, dass jede Figur in ihrer eigenen Welt lebt, auch wenn sie einen gemeinsamen Kosmos bewohnen.

Eine Atmosphäre, die an Filme von Rohmer oder Resnais erinnert

Nähe entsteht auch durch die Sinnlichkeit der Figuren und ein latentes erotisches Prickeln. Es wird viel und gut gegessen, Elena ist eine leidenschaftliche Schwimmerin, Sexualität allerdings scheint eher problematisch. Eve macht keine guten Erfahrungen, Elena hält sich zurück und für die Mädchen ist der eigene Körper ein noch unbekanntes Terrain. All das ist spannend genug, aber es geschieht auch sonst eine Menge: eine Hündin taucht auf und verschwindet wieder, eines der Kinder ist plötzlich weg und wird verzweifelt gesucht. Franz und seine Schutzbefohlene bringen alles durcheinander. Die Atmosphäre mit nachdenklichen Frauen, Gartengesellschaften und vielen Gesprächen erinnert an französische Filme von Eric Rohmer oder Alain Resnais.

Ambivalenzen machen das Buch lesenswert

Wichtig ist auch die spezifische Landschaft als Ort der Geborgenheit, der Sehnsucht, aber auch der Bedrohung. Es gibt Waldbrände in nächster Nähe. Im Atlantik mit seinen Wellen und Strömungen sterben jedes Jahr viele Menschen. Aus Deutschland meldet Kolja Hochwasser. Doch die Klimakatastrophe bleibt kulissenhaft und dringt nicht in den Erzählrahmen ein. Die Figuren haben damit nichts zu tun. Das entspricht ja durchaus unserem Lebensgefühl: Alles wird katastrophaler, aber man macht noch unbehelligt Urlaub, auch wenn die Flammen am Horizont schon zu sehen sind.

Nina Bußmann zeichnet eine Idylle, die von innen und außen bedroht ist. Dabei sind es vor allem die undurchschauten, komplizierten Verhältnisse, die ihre Figuren verunsichern und die die Spannung dieses Romans ausmachen. "Drei Tage im August" ist nichts für Leute, die keine Ambivalenzen ertragen. Das macht dieses Buch so lesenswert.

Jörg Magenau, radio3

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