Joker: Folie à Deux © Warner Bros. Entertainment
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Musical-Thriller - "Joker: Folie à Deux"

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Bekannt wurde der amerikanische Regisseur Todd Phillips mit ausgelassenen Komödien wie "Hangover" und "Due Date", in denen er zum Teil recht zotige Gags mit großen Gefühlen servierte. Dann hat er 2019 einen ganz neuen, überraschend düsteren Tonfall angeschlagen: Mit dem Comic-Stoff "Joker" beleuchtete er die Vorgeschichte des Batman-Gegenspielers. In "Joker: Folie à Deux" erzählt Phillips diese Geschichte jetzt weiter. Der Film feierte auf dem Festival in Venedig Premiere und ist prominent besetzt: mit Joaquin Phoenix in seiner Oscar-Rolle als Joker und der Sängerin und Schauspielerin Lady Gaga als Harley Quinn.

Am Ende des letzten "Joker"-Films wurde Arthur als mehrfacher Mörder gefasst und endete in der Psychiatrie. Jetzt geht es zunächst ziemlich überraschend mit einem Cartoon im Stil der Looney Tunes weiter, den Sylvain Chomet, Regisseur des für zwei Oscars nominierten Animationsfilms "Das große Rennen von Belleville", gedreht hat: Eine Zeichentrickversion des Jokers lässt sich da in Horrorclown-Make-up auf dem roten Teppich feiern, während er zugleich mit seinem bösen Schatten ringt, der Schabernack mit ihm spielt und ihn ins Gefängnis bringt.

Der kurze Film ist ein amüsantes Recap des ersten Films und zugleich eine schöne Metapher für die Schizophrenie von Arthur Fleck, der als Joker weltberühmt wird, einerseits Schrecken verbreitet, vom Mob aber auch als Held der rebellierenden Underdogs gefeiert wird.

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Multiple Persönlichkeit

Nach dem fidelen Anfang wird es dann sofort bedrückend und düster. Die erste von vielen Häutungen des Films, der wie sein Held eine multiple Persönlichkeit hat, in vielen verschiedenen Genres daherkommt, sich vom Cartoon zum Gefängnisdrama wandelt und dann weiter zum Gerichtsdrama, zur melodramatischen Liebesgeschichte und zum märchenhaften Musical.

Im fahlen Licht des Arkham Asylums, einem mittelalterlich anmutenden Gefängnisverlies für psychisch kranke Schwerverbrecher, wirkt Arthur Fleck erbarmungswürdig ausgemergelt. Mit fahlem Teint, zerrupft fettigen Haaren und knochig dürr fristet er ein dauersediertes Dasein. Von den Wärtern wird er drangsaliert, schikaniert und gehänselt. Die Einsamkeit, die er im ersten Films erlebt hat, wird hier weiter zugespitzt.

Schon im düster-beklemmenden Soundtrack, den erneut die isländische Oscarpreisträgerin Hildur Guðnadóttir komponiert hat, schlägt das intensiv durch: Alles in allem so beklemmend, dass man sich fast schon Sorgen um Joaquin Phoenix macht, der ihn spielt. Wie schön, dass der Schauspieler, der hier erneut eine emotionale Tour de Force hinlegt, bei der Pressekonferenz auf dem Festival in Venedig wieder deutlich wohler zu sehen war: normalgewichtig, sonnengebräunt und lächelnd, obwohl er bekanntermaßen kein Fan solcher Promotion-Auftritten ist.

Das Gefängnisdrama wird zum Gerichtsdrama

Danach geht es eher schleppend weiter, das Gefängnisdrama wandelt sich zum Gerichtsdrama. Es kommt zum Prozess, in dem Arthur Fleck angeklagt ist. Es geht darum, ob er sein Leben im Psychiatriegefängnis beendet - oder auf dem elektrischen Stuhl. Zur Erinnerung: Er hatte zu Hause seine Mutter ermordet, drei Pöbler in der U-Bahn und den von Robert De Niro gespielten Talkshow-Host vor laufenden Kameras erschossen. Seine Anwältin - gespielt von der wunderbaren Catherine Keener - will auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren: Nicht Arthur habe die Morde begangen, sondern seine abgespaltene Persönlichkeit, der Joker, als Resultat von Demütigungen und Gewalt, die er in der Kindheit erlebt hat. Hier ist "Joker: Folie à Deux" vor allem eine Nacherzählung des ersten Films.

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Folie à deux: Joaquin Phoenix und Lady Gaga

Dann kommt Lady Gaga ins Spiel, die als Harley Quinn ebenfalls in der Psychiatrie ist. Ein flüchtiger Blick zwischen den beiden über den Gang des Gefängnisses von Gotham City löst eine Amour Fou aus, mit der der Film dann nochmal Tonfall und Farbe verändert: Nach Looney Tunes-Cartoon, Gefängnisfilm und Gerichtsdrama wird er zur melodramatischen Liebesgeschichte zwischen zwei verlorenen Seelen:

"Als ich Joker zum ersten Mal sah, als ich dich sah, hab ich mich zum ersten Mal in meinem Leben nicht mehr so allein gefühlt", haucht Lady Gaga.

"For once in my life, I have someone who needs me", singt Joaquin Phoenix als Joker.

Immer, wenn die beiden zusammen sind, wird das Licht wärmer und der Film zum bunten Märchen-Musical, als würde die Liebe ganz konkret ein Schlupfloch aus der tristen Realität eröffnen, das gerade in der Luft zu liegen scheint: Diese Umdeutung des Musicals, weg vom Eskapismus und hin zu einer düsteren Version, zelebriert auch Jacques Audiard in "Emilia Pérez".

Weltbekannter Popstar und grandioser Schauspieler

Lady Gaga ist ein Popstar mit weltbekannter Stimme, die gigantische Konzertarenen bespielt. Joaquin Phoenix kann immerhin die Oscar-nominierte Rolle im Johnny Cash-Biopic "Walk the Line" vorweisen. Die beiden singen berühmte Standards wie "My Way" von Frank Sinatra oder "Je t'aime" von Serge Gainsbourg - doch von Phoenix wird gar nicht verlangt, dass er perfekt singt, denn die Kläglichkeit und Brüchigkeit der Stimme wird zu einem schlüssigen Teil seiner fragilen Psyche. In Venedig hat Phoenix bei der Pressekonferenz sehr schön erzählt, dass hier die Musik die einzige mögliche Ausdrucksform für diesen gequälten Menschen sei, dass es also nie darum ging, perfekt zu singen.

Auch wenn Harley Quinn ebenfalls eine gebrochene Figur ist, lässt es sich Lady Gaga nicht nehmen, deutlich virtuoser zu singen.

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Eher enttäuschendes Sequel mit vielen Schau- und Hörwerten

Nach dem enormen Erfolg von Todd Phillips' erstem, mit 50 Millionen Dollar Budget deutlich günstigeren "Joker", wurde das Sequel heiß erwartet. Doch nach der Premiere auf dem Festival von Venedig gab es eher enttäuschte Kritiken - und so mitreißend, wie man sich den neuen Film nach dem grandiosen Wurf des ersten "Joker"-Films, einer Comic-Verfilmung als überraschend düster-reale Charakterstudie, ist der zweite "Joker" leider nicht geworden.

Es gibt grandiose, sinnliche Momente, viel zu schauen und zu hören. Make-up, Kostüme, die ganze Atmosphäre in diesem Retro-New York, das hier erneut als Gotham City "verkleidet" ist, dazu ein toller Musik-Mix aus düsteren Klängen und berühmten Songs, zwei aufregende Darsteller: Es gibt viel zu sehen - und dennoch tritt der Film mit seinen vielen Genres auf der Stelle, entwickelt keinen Drive, interessiert sich viel zu wenig für Handlungsbogen oder Figurenentwicklung. Sehr schade.

Anke Sterneborg, radio3

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