Politthriller - "Die Saat des heiligen Feigenbaums"
Dieser Film wurde lang erwartet in Deutschland. In Cannes mit dem Spezial-Preis der Jury ausgezeichnet, dazu der Preis für die beste Regie bei den "Critics Choice Awards" in Los Angeles und bei den Auslands-Oscars für Deutschland im Rennen. Im Zentrum des Films steht ein Untersuchungsrichter am Revolutionsgericht in Teheran, der sich nach dem Tod einer jungen Frau einer riesigen Protestbewegung im Land gegenübersieht.
Der letzte Film von Mohammad Rasoulof, "There is no Evil" feierte seine Premiere noch in Abwesenheit des Regisseurs auf der Berlinale. Er bestand aus vier kurzen Filmen, die durch den roten Faden einer moralisch ethischen Frage verbunden waren: Unter welchen Umständen und zu welchem Preis kann man in einem totalitären Staat seine Integrität und Freiheit bewahren? Vier Jahre später feierte sein neuester Film "Die Saat des heiligen Feigenbaums" auf dem Festival in Cannes Premiere, inzwischen ist der Regisseur geflohen und lebt in Deutschland. "Die Saat des heiligen Feigenbaums" spielt während der Unruhen die Iran erschütterten, nach dem durch Polizeigewalt herbeigeführten Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini in Teheran am 16. September 2022
Vorteile und Gefahren
In gewisser Weise ist der Film eine Fortführung von "Das Böse gibt es nicht": Wieder geht es um die moralischen Implikationen der Todesstrafe. Und wieder wird im Privaten das Politische gespiegelt. Im Zentrum steht die Familie von Iman, der zum Ermittler im Revolutionsgerichtshof befördert wird, mit Aussicht auf einen baldigen Richterposten. Für die Familie bedeutet das Vergünstigungen, eine größere Wohnung, in einer besseren Gegend, in der jede der beiden Töchter ihr eigenes Zimmer haben können, aber auch Gefahren, das wird spätestens dann klar, als Iman sehr zur Überraschung seiner Frau Namijeh mit einer Pistole nach Hause kommt, die er bekommen hat um sich im Zweifelsfalle gegen Regimegegner zu verteidigen. Die Beförderung bedeutet auch, dass die Familie unter strenger Beobachtung steht, entsprechend ermahnt die Mutter die beiden Töchter, die Schülerin Sana, noch ein Teenager, Rezvan, die mit 21 am Anfang des Studiums steht: keine Fotos in den Sozialen Medien und den Hijab immer korrekt tragen. Denn kurz zuvor wurde die 22-jährige Jina Mahsa Amini wegen eines verrutschten Hijab festgenommen, und starb nach dem Verhör. Wie schon in früheren Filmen bricht Rasoulof die Politik in Iran auf die intime Perspektive einer kleinen Familie herunter.
Aufmüpfige junge Frauen
Natürlich halten sich die Töchter nicht an die Vorgaben, vor allem Rezvan gerät in der Uni in den Sog eines frischen Windes, durch ihre Freundin Sadaf, die am Telefon sozusagen live von den Ereignissen berichtet, dass auch sie Parolen rief, und das sogar ohne Kopftuch. Dann schickt sie Handyvideos von den Ereignissen, und einen VPN-Zugang, mit dem sie sie anschauen können. Man merkt schon, welch wichtige Rolle Handys und die darauf gedrehten und im Netz verbreiteten Filme spielen. Rasoulof nutzt diese dokumentarischen Bilder von den Ausschreitungen auf der Straße und von den gewalttätigen Versuchen der Polizei, sie niederzuschlagen, um die bedrückende Enge des familiären Kammerspiels immer wieder aufzubrechen. Und dann dauert es nicht mehr lange, bis die beiden Töchter die Ansichten, die Wahrheit ihres Vaters hinterfragen, ihn immer stärker herausfordern. Wenn der Vater die Fakten Lügen nennt, behauptet, sie seien von Feinden des Iran eingeflüstert, entgegnet Rezvan, dass ihre Freunde schließlich vor ihren Augen verprügelt und festgenommen wurden: "Ich weiß, dass es ganz normale Menschen sind, die ein normales Leben in Freiheit führen wollen wie an vielen anderen Orten." Wenn der Vater beansprucht, es schließlich besser wis-sen zu müssen, weil er länger in diesem Land lebe, entgegnet sie: "Nein! Papa glaub mir, du weißt es nicht, du steckst zu tief drin! Und willst es bewahren, koste es was es wolle ..."
Die Saat des heiligen Feigenbaums
Der Titel des Films wird am Anfang des Films erklärt: Die Samen des heiligen Feigenbaums gelangen über Vogelkot auf andere Bäume wo sie austreiben, um dann den Wirtsbaum mit ihren Ästen zu erwürgen. Das ist eine vielschichtige Metapher, die viele Lesarten eröffnet: Wer ist hier der Würger? Das Regime des Gottesstaates, das den Bürgern jede Freiheit nimmt. Die Kinder, die den Vater herausfordern, und seinen Posten gefährden? Die Frauen, die das Patriarchat erschüttern? Oder vielleicht der Filmre-gisseur, der das Land befreien will.
Einfallsreichtum iranischer Filmemacher
Die iranischen Filmemacher sind gewitzt darin, gegen die Zensurbehörden anzufilmen, selbst im Hausarrest gelang es Jafer Panahi noch, einen Film zu drehen. Auch "Die Saat des heiligen Feigenbaums" wurde heimlich gedreht, mit kleinen Kameras unter dem Radar der Zensurbehörden, in insgesamt drei Monaten. Noch bevor der iranische Staat von der Existenz des Films wusste, ist Mohammad Rasoulof heimlich ausgereist – sein Pass wurde bereits 2017 konfisziert. Auch viele der DarstellerInnen und die wichtigsten Teammitglieder, die allesamt verfolgt werden, sind ausgereist, der Tonmann wurde beim Versuch der Ausreise festgenommen.
Die Familie als Spiegelbild der Gesellschaft
Die Familie wird zum Spiegelbild, ein Mikrokosmos der iranischen Gesellschaft, mit unterschiedlichen Positionen zum Terrorregime: Da ist der Vater, der kein Hardliner ist, der anfangs bedrückt ist, als von ihm verlangt wird, ein Todesurteil zu unterschreiben, ohne die Beweise zu prüfen. Erst als ihm Kündigung angedroht wird, sollte er sich widersetzen, beugt er sich, rechtfertigt sich selbst mit dem Glauben, das sei "Gottes Befehl, das Gesetz unseres Landes". Seine Frau, die zunächst zu vermitteln versucht, aber mit wachsendem Zweifel auf die Veränderungen ihres Mannes reagiert. Und schließlich die beiden Töchter, die von der Aufbruchsstimmung mitgerissen werden, die Fragen stellen und widersprechen. Diese Dynamik spitzt sich immer stärker, intensiver zu, als die Dienstwaffe des Vater verschwindet, und er die Verhör- und Druckmethoden, die er von der Arbeit kennt, auf seine Familie anwendet.
Starke weibliche Stimmen
Schon kurz nach dem Beginn der Proteste hat die im Exil lebende iranische Künstlerin Shirin Neshat ihre Hoffnungen auf die Frauen gesetzt, die nach dem Tod von Jina Mahsa Amini zur treibenden Kraft der Widerstandsbewegung wurden: "Ich habe keine Zweifel, dass sich diese Frauen nicht mehr dahin zurücktreiben lassen, wo sie vor 41 Tagen waren. Sie sind einfach zu widerständig und rebellisch, genau wie die jungen Männer, die mitprotestieren. Sie würden ihr Leben geben, für den Erfolg. Es wird dauern, vielleicht Monate, vielleicht ein Jahr, aber niemals wird die Regierung diese wunderbare Bewegung ersticken können." So gibt es auch am Ende dieses sehr beklemmenden Films eine hoffungsvolle Note, schon lange vor dem tatsächlichen Sturz von Assad am Anfang Dezember. Überhaupt haben die Frauen in diesem Film eine starke Stimme gegen das durch den Revolver symbolisierte Patriarchat, allein schon in den melancholischen Liedern von Raha Yousefi im Soundtrack von Karzan Mahmoud.
Anke Sterneborg, radio3