Der Buchspazierer © STUDIOCANAL
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Tragikomödie ab 6 Jahren - "Der Buchspazierer"

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Bei einem Besuch in Aachen wurde dem Restaurantkritiker, Weinjournalisten und Autor kulinarischer Kriminalromanen, Carsten Sebastian Henn, die Geschichte eines lokalen Buchhändlers erzählt, der Bücher zu Fuß zu seinen Kunden austrägt. Er war sofort begeistert und nahm sich vor, ein Buch über ihn zu schreiben. Als der Roman "Der Buchspazierer" 2020 erschien, hatte das Corona-Virus die Welt gerade zum Stillstand gebracht und schnell avancierte das Buch zum Herzenswärmer einsamer Tage. Jetzt wurde die Geschichte von Ngo The Chau mit Christoph Maria Herbst in der Titelrolle verfilmt.

Carl Kollhoff ist ein eigenbrötlerischer alter Mann, der jeden Morgen von der kleinen Buchhandlung, in der er angestellt ist, durch die Kopfsteinpflastergassen seines kleinen Dorfes läuft. Auf dem Rücken trägt er einen altmodischen Ranzen aus Leder, der eine Art mobiler Mini-Bücherschrank ist, mit einem Sichtfenster, durch das man die sorgfältig einzeln in Papier gewickelten Bücher sehen kann. Die bringt er dann zu seinen Kunden, die er nach berühmten Romanhelden benennt: Mister Darcy aus Jane Austens "Stolz und Vorurteil", Frau Langstrumpf nach Astrid Lindgren oder Effi Briest nach Fontane.

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Grantiger alter Mann trifft auf keckes, neugieriges Mädchen

Carl Kollhoff liebt Bücher, mit Menschen kann er zumindest in dieser Phase seines Lebens nur wenig anfangen. Doch dann stellt sich ihm eines Tages ein kleines Mädchen in den Weg: "Ich bin Schascha, ich bin 9 Jahre alt", sagt sie und Carl wehrt ab: "Du darfst sicher nicht mit einem Unbekannten gehen."

Er sei ja kein Unbekannter, weil sie ihn aus der Buchhandlung kenne, kontert sie: "Und ich seh' dich immer aus dem Fenster unserer neuen Wohnung. Du bist der Buchspazierer!" Carl bleibt resistent: "Wenn du mich kennst, weißt du sicher auch, dass ich immer alleine gehe." Aber auch Schascha lässt sich nicht abwimmeln: "Gut, dann gehst du alleine und ich gehe alleine neben dir", woraufhin Carl nur noch ein Rilke-Zitat einfällt: "Viele, die vor mir lebten und fort von mir strebten, webten, webten an meinem Sein."

Der Topos vom Grantler, den ein Kind aus der Reserve lockt

Gespielt wird der Buchspazierer von Christoph Maria Herbst, bei dem man reflexartig an das politisch unkorrekte Büro-Ekel Stromberg denkt und all die anderen Grantler, die er sonst noch so gespielt hat. Doch Herbst ist hier eher untypisch besetzt. Gewiss, auch Carl ist kein Menschenfreund, dabei aber doch alles in allem eher liebenswert und sympathisch, denn unter der harten Schale schimmert der verletzliche Kern durch - und unter dem Ernst der Schalk. Und den lockt das kecke, kleine Mädchen alsbald hervor. Mit ihrer Neugier und ihrem Interesse mag sie ihm ein bisschen lästig sein, doch bald erliegt er ihrem kindlichen Charme, womit der Film seinen Topos gefunden hat: Der alte grantige Mann, den ein quirliges Kind aus der Reserve und zurück ins Leben lockt.

Das heißt auch, dass der Buchspazierer, der seinen Kunden gegenüber immer sehr reserviert und distanziert war, immer mehr über ihr Leben und ihre Probleme erfährt. Gemeinsam beginnen sie, sich um Lösungen zu bemühen. Und dann wird auch klar, dass es nicht nur die Liebe zu den Büchern ist, die die beiden verbindet, sondern auch ein großer Verlust, den beide verarbeiten müssen.

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Das Glück und die Magie des Lesens

Ngo The Chau ist in Vietnam geboren und kam als Kind mit seinen Eltern nach Deutschland. Ursprünglich war er Kameramann, hat inzwischen aber eine ganze Reihe Märchenfilme fürs Fernsehen inszeniert. Diese Herkunft aus dem Märchen ist auch in "Der Buchspazierer" zu spüren: Die Verfilmung ist ausgesprochen romantisch, nostalgisch, märchenhaft angelegt. Das pittoreske Dörfchen ist in einen golden-entrückten Lichtschein gehüllt, überall flattern fröhliche Wimpel-Girlanden und vor allen Fenstern blühen bunte Blumen. Immer wieder schrappt der Film da haarscharf am Kitsch vorbei. Anders als das Buch richtet sich der Film stärker an Kinder - mit Anklängen an andere Jugendromane, die im Glück des Lesens schwelgen, so wie die "Tintenherz"-Romane von Cornelia Funke oder "Die Bücherdiebin" von Markus Zusak.

Der digitale Fortschritt besiegelt das Schicksal des Buchspazierers

Klar, dass es in so einem Märchen auch das Böse geben muss, in Gestalt des Fortschritts, der die Bücher mit ihrer sinnlichen Haptik verdrängt. Die kleine, mit Bücherschätzen vollgestopfte Buchhandlung wird von einer Multimedia-Kette im Einheits-Orange übernommen, die Bücher verschwinden und die Zeit des Buchspazierers neigt sich dem Ende zu: Die neue Filialleiterin ist eine Frau ohne Herz und Respekt, nicht mal den Namen des Mannes, den sie gerade entlässt, kann sie sich merken, hat nur Gewinnmaximierung und Effizienz im Kopf und keinerlei Verständnis für die Magie der Bücher. Nikola Kastner lässt sie genüsslich in vielen Nuancen von Herablassung und geschäftsmäßiger Pseudoempathie aufschimmern - ein wenig wie eine zwar noch sehr junge, aber doch sehr böse Hexe im Märchen.

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Erfundene Idylle mit herzerwärmendem Kern

"Der Buchspazierer" ist ein Feelgood-Movie mit Ansage. Ziemlich massiv wird nicht nur die Magie des Lesens beschworen, sondern auch die Kraft menschlicher Begegnungen gefeiert. Subtil ist das nicht unbedingt und nie wirkt das Dorf wie ein realer Ort, an dem echte Menschen leben, immer eher wie ein erfundenes Idyll, das von Fantasiewesen bevölkert ist. Alles ist immer ein bisschen zu viel - und trotzdem gelingt es dem Buchspazierer und seiner kleinen Begleiterin (Yuna Bennett) die Herzen zu erobern. Man müsste schon ein arger Zyniker sein, sich davon nicht ein bisschen verzaubern zu lassen.

Anke Sterneborg, radio3

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