Drama - "The Last Showgirl"
Als kurvenreiche Rettungsschwimmerin mit wallend blonden Locken war Pamela Anderson in 110 Episoden und drei Staffeln der Fernsehserie "Baywatch" das wohl bekannteste Sexsymbol der 90er Jahre, zudem hält sie den Rekord mit insgesamt 14 "Playboy"-Covergirl-Auftritten. Nachdem sie lange Zeit als Schauspielerin vor allem Goldene Himbeeren kassierte, konnte sie jetzt eine Menge Preise und Nominierungen einsammeln - u.a. eine Nominierung als beste Darstellerin bei den renommierten Golden Globes. Unter der Regie von Gia Coppola, jüngstes Mitglied des berühmten Coppola-Filmclans, spielt sie die Titelrolle: "The Last Showgirl".
Mitten hinein ins atemlose "Razzle Dazzle" einer Bühnenshow in Las Vegas: Rauschhaft lässt sich die Kamera ins hektische Treiben vor dem Auftritt reißen, vor grell beleuchteten Spiegeln legen die Tänzerinnen letzte Hand ans Make-up an, stülpen sich den Kopfputz über, zupfen Trikots zurecht, hasten schwatzend über enge Treppen zum Bühneneingang.

Schon seit 30 Jahren rackert sich Shelly auf der Bühne ab – in knappen, enganliegenden Trikots, die üppig mit Glitzersteinen und Pailletten besetzt und mit ausladenden Engelsflügeln oder bunt wippenden Federn-Pompon-Skulpturen dekoriert sind. Unter den vielen jungen Mädchen in der Chorus-Line, ist sie mit Abstand die Älteste, immer kleiner wurden ihre Rollen über die Jahre. Aber auch wenn sie ein wenig abgehalftert wirkt, ist das Leben als Showgirl alles, was sie hat:
"Ich liebe diese Show! Ich liebe sie! Ich bin einfach glücklich, wenn ich dort auftrete. Die Kostüme! Die Ausstattung! In diesem Licht zu baden, jeden Tag wieder, sich gesehen fühlen, sich schön zu fühlen, ist überwältigend!", schwärmt sie. "Ich finde es Wahnsinn, dass ich es bin, die seit so vielen Jahren da oben steht, dass ich es bin, die die Leute sehen wollen! Dass ich die auf den Plakaten bin!"
Neuanfang mit 57
Doch damit soll es nun vorbei sein. Der von Dave Bautista gespielte Stage-Manager hat schlechte Nachrichten, denn in der Neonlichterwelt von Las Vegas neigt sich die Zeit des American Showgirls dem Ende zu: "Das 'Razzle Dazzle' ist alt, es ist die letzte Show dieser Art auf dem Strip."
Für Shelly bricht eine Welt zusammen und es ist fraglich, ob sie die Kraft hat, die Teile ihres Lebens neu zusammenzusetzen. Einsam und fragil steht sie auf einer leeren Bühne, um ihre Fähigkeiten bei einer Audition vorzuführen - und obwohl der Mann, der über ihre Zukunft entscheiden wird, gar nicht zu sehen ist, verrät die Ungeduld in seiner Stimme, dass er sich fragt, warum um Himmels Willen er diese bald 60-jährige Frau anschauen soll, die erst mal behauptet, 36 zu sein, sich dann halbherzig korrigiert: Okay, das sei gelogen, 42 sei sie …

Alles eine Frage der Perspektive
Der ganze oberflächliche Glitter und Glam, mit billigen Fummeln, falschen Wimpern, zerlaufender Bühnenschminke, die sich in den Falten sammelt, den durchsichtigen Gummibändern, die die schlaffe Haut am Kinn hochzurren: diesem kläglichen Theater zuzuschauen, ist schmerzhaft. Shellys entfremdete Tochter kann es nicht fassen, dass ihre Mutter sie allen Ernstes für diese Welt der billigen Oberflächenreize verlassen hat. Doch wenn Shelly von ihrem Leben als Showgirl schwärmt, lässt sie auf mitreißende Weise spüren, wie sehr sie diesen Job, diese Welt liebt und braucht: "Las Vegas hat uns immer wie Filmstars behandelt. Die Kostüme, die Ausstattung - wir waren Botschafterinnen in Sachen Stil und Anmut. Das Las Vegas Showgirl, die Ikone, das amerikanische Showgirl!"
Seelenstrip
Dass das so stark wirkt, hat damit zu tun, wie aufregend dünnhäutig und fragil Pamela Anderson das spielt – vor allem aber auch damit, dass sie hier auch ihre eigene Geschichte miterzählt: von einer Schauspielerin, die ihre Karriere weniger auf Talent als auf Sexyness und Schönheit gebaut hat. Durchaus selbstironisch hat sie mal erklärt, ihre Brüste hätten eine großartige Karriere gemacht, sie sei da einfach nur mitgetrottet. Doch statt wie in der Jugend im knappen roten Badeanzug ihren Körper zur Schau zu stellen, entblößt sie hier weitgehend ungeschminkt ihre Seele und verweist damit auch auf die Demütigungen, denen Frauen ausgesetzt sind, die sich von Männern taxieren lassen müssen. Und so wie Sean Baker, der gerade für die Geschichte der russischen Sexarbeiterin "Anora" mit vier Oscars ausgezeichnet wurde, richtet auch Gia Coppola ihren Blick mit großer Zärtlichkeit auf diese Frau und ihre existenzielle Krise vor dem allerletzten Auftritt.

Ein Neuanfang - zumindest für die Darstellerin
Die Tänzerinnen führen ein prekäres Leben, kaum eine ist im Alter abgesichert. Shellys, von Oscar-Preisträgerin Jamie Lee Curtis mit großer Lust rückhaltlos-armselig verkörperte Ex-Kollegin, kellnert inzwischen im Casino, wo sie immer wieder auch ihr Geld verzockt. Sie schläft im Auto und würde eigentlich gerne bei der Freundin einziehen: "Shelly, ganz ehrlich, es ärgert mich, dass du mich für verantwortungslos hältst", wirft sie der Freundin vor: "Das bin ich nicht. Ich überleg' sogar, mich privat rentenzuversichern!" Den Zahn zieht diese ihr: "Ich glaube, dafür bist du zu alt!"
Ob Shelly es schaffen wird, sich noch einmal ganz neu zu definieren, ist fraglich. Doch für ihre Darstellerin Pamela Anderson beginnt gerade eine neue Lebensphase mit vielschichtigen Rollen auf dem Broadway und im Kino.
Anke Sterneborg, radio3