Drama - "September 5 - The Day Terror Went Live"
Als 2011 Tim Fehlbaums "Hell" in die deutschen Kinos kam, war das eine kleine Sensation: Eine beeindruckende, apokalyptische Zukunftsvision, die sich fast wie eine Endzeitdokumentation anfühlte, die sich ganz ohne teuren CGI-Budenzauber mit amerikanischen Produktionen messen lassen konnte. Der neue, dritte Film von Tim Fehlbaum rekapituliert das Attentat der Terrorgruppe "Schwarzer September" auf das Viertel der israelischen Sportler im Olympiadorf in München 1972. Premiere feierte der Film auf dem Festival in Venedig, seitdem wird er hoch gehandelt. Morgen kommt "September 5" in unsere Kinos.
Tim Fehlbaum ist 1982 geboren, also Nachgeborener der Ereignisse, von denen er jetzt erzählt. Zum ersten Mal mit dem Thema in Berührung gekommen ist er durch den Dokumentarfilm "One Day in September" von Kevin Macdonald. In München, wo er an der HFF Regie studiert hat, war diese Geschichte besonders präsent. Obwohl es schon einige Filme über das Attentat gibt, fand Fehlbaum, dass noch ein Bindeglied fehlen würde zwischen "München" (2005) von Steven Spielberg, in dem es um die Auswirkungen nach dem Attentat geht, und dem Fernsehfilm "München 72 – Das Attentat" (2012), in dem Dror Zahavi die Ereignisse nachgestellt hat. Was er vermisste, war eine direkte, filmische Auseinandersetzung mit diesem historisch bedeutenden Tag.
Not macht erfinderisch
Bei den Recherchen wurde Fehlbaum schnell klar, dass ein sehr hohes Budget nötig wäre, um die Ereignisse im Olympiadorf zu rekonstruieren. Allerdings bewies er bereits in seinen ersten beiden Filmen, dass ihn Not erfinderisch macht: In "Hell" und "Tides" destillierte er zwei beeindruckende apokalyptische Zukunftsvisionen von extremer Dürre und globaler Überschwemmung - ganz intim aus realen Landschaften. Beide Filme wirkten wie Endzeitdokumentationen und kamen ganz ohne exorbitant teuren CGI-Budenzauber aus.
Kammerspiel im Newsroom
Nun also ein historischer Stoff: Bei seinen Recherchen begriff Fehlbaum, welch entscheidende Rolle die Medien damals gespielt haben, dass dieser Tag ein Wendepunkt in der Mediengeschichte war, da zum ersten Mal live über ein Ereignis berichtet wurde. Dann knüpfte er Kontakt zu Geoffrey Mason, der damals als 28-Jähriger ausführender Produzent von ABC war und diesen 22 Stunden-Live-Berichterstattungs-Marathon hautnah miterlebt hat. Das war die Initialzündung, die Geschichte auf die Perspektive der damals berichtenden Journalisten zu verengen.
Im Grunde ist "September 5" ein Kammerspiel im Newsroom des amerikanischen Senders ABC: Morgens um vier Uhr beginnt der Arbeitstag - und als Zuschauer ist man quasi live dabei, wenn die Journalisten merken: da stimmt irgendwas nicht. Dass es tatsächlich Schüsse waren, die sie in der Ferne gehört haben. Plötzlich müssen die Sportreporter, die eben noch Wettbewerbsergebnisse kommentiert haben, vom Brennpunkt des Weltgeschehens berichten. Geistesgegenwärtig schieben sie eine der riesigen, schweren Studiokameras raus und sind damit die einzigen, die Live-Bilder haben, als das Olympiadorf von Polizei und Militär abgeriegelt wird.
Der Zuschauer ist hautnah dabei, wie die ikonischen Bilder vom Terroristen mit der schwarzen Maske auf dem Balkon entstehen. Bilder, die damals um die ganze Welt gingen, von mehr als einer Milliarde Menschen live gesehen wurden, deutlich mehr noch als drei Jahre zuvor bei der Mondlandung.
Hochspannend und moralisch komplex
Das ist hochspannend, obwohl das tragische Ende bekannt ist. Beim Zusehen fiebert man mit, wird wirklich ganz unmittelbar in den Newsroom katapultiert. Editor Hansjörg Weißbrich überträgt diesen enormen Druck der Ereignisse ganz direkt in die Bilder, die fast dokumentarisch anmuten. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die analogen Originalbilder von damals, die auf den Bildschirmen laufen und fließend mit den nachinszenierten Szenen verschmolzen sind. Ganz unmittelbar überträgt sich die Nervosität - fast so, als würde man diese auf 90 Minuten verdichteten 22 Stunden in Echtzeit sehen. Von einem Moment zum nächsten müssen weitreichende Entscheidungen getroffen werden. So fordert Geoffrey Mason im Eifer des Gefechts einen "hammermäßigen Close-up von den Terroristen" und wird von seinem Kollegen zurückgepfiffen: "Hey, Geoff! Das ist nicht Leichtathletik. Die drohen, Menschen umzubringen!"
Und dann müssen sich die Reporter fragen, ob sie die Live-Kameras draufhalten, wenn eine der Geiseln erschossen wird. Plötzlich geht es nicht mehr nur darum, ob die Angehörigen der Opfer diesen Bildern ausgesetzt werden, sondern auch darum, dass die Terroristen sehen, welche Maßnahmen die Polizisten auf den Dächern anstrengen. Das heißt: die Journalisten verändern die Ereignisse, über die sie berichten.
Eine Frau in der Männerdomäne
In den 70er Jahren war der Newsroom eine Männerdomäne. Einzige Frau ist die von Leonie Benesch gespielte Übersetzerin Marianne Gebhard, deren Arbeit unglücklicherweise in der deutschen Synchronisation gar nicht mehr vorkommt. Ihre Figur gab es historisch so nicht, sie ist ein Amalgam aus verschiedenen realen Personen und für Tim Fehlbaum, der mit vier Schwestern aufgewachsen ist, auch eine Art nachträgliche Wiedergutmachung. Wie schon in "Das Lehrerzimmer" spielt Benesch auch hier einen ganzen Strauß widersprüchlicher Gefühle: vom gedrosselten Ärger über die Arroganz der männlichen Reporter bis zur Scham über das Versagen der deutschen Polizei und darüber, dass ausgerechnet bei der Olympiade, die ein positives Gegenbild zum Hitler-Spektakel von 1936 entwerfen sollte, wieder Juden auf deutschen Boden sterben.
Wendepunkt der Mediengeschichte
Geplant war der Film lange vor dem Attentat der Hamas - am 7. Oktober 2023 befand sich der Film bereits in der Postproduktion. Dennoch wird die Wahrnehmung des Films durch die tragischen Ereignisse beeinflusst. Fehlbaum hingegen ging es ganz klar um diesen historischen Moment als Wendepunkt in der Mediengeschichte. Er will Gedanken über den Medienkonsum heute anregen, über die Komplexität von Krisenberichterstattung und die Macht der Bilder. Dabei spielt "September 5" in der gleichen Liga wie die ganz großen Journalistenfilme der Kinogeschichte. Auch amerikanische Kritiker haben ihn mit dem vielleicht berühmtesten aller Journalistenfilme verglichen: mit "Die Unbestechlichen" (1976) über die Aufdeckung der Watergate-Affäre. Zurecht!
Anke Sterneborg, radio3