Queer © THE APARTMENT SRL - NUMERO 10 SRL - PATHÉ FILMS - Gianni Fiorito
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Literaturverfilmung nach William S. Burroughs - "Queer"

Bewertung:

Bei den Filmfestspielen in Venedig wurde "Queer" von Luca Guadagnino gefeiert, eine Literaturverfilmung der Beat-Ikone William S. Burroughs. Die Hauptrolle spielt Daniel Craig, den wir knapp 15 Jahre als James Bond erlebt haben: als Mann mit stählernem Körper und eisigem Gesichtsausdruck. 2021 nahm er Abschied als Bond und macht seitdem das, worauf er Lust hat. In "Queer" spielt er einen versoffenen, abgehalferten Junkie. Auch wenn Craig diese Rolle nicht als Abschied von seinem Image verstehen will, ist sie das natürlich doch: 007 ist der Inbegriff von heterosexueller Männlichkeit - mehr geht eigentlich nicht. Der Lee, den Craig hier verkörpert, ist das ganze Gegenteil: suchend, hadernd, verletzlich, schwul.

Burroughs hatte in den USA diverse Prozesse wegen diverser Drogendelikte am Hals und sich 1949 nach Mexiko geflüchtet, um nicht ins Gefängnis zu müssen und die Strafe verjähren zu lassen. 1952 schreibt er hier diesen sembiografischen Text. Er erzählt von dem Amerikaner Lee, einem alternden suchtkranken Mann, der sich in Leinenanzug mit Hut und Sonnenbrille ziellos durch die staubigen Straßen von Mexiko-Stadt treiben lässt, von Bar zu Bar, von Tequila zu Tequila. Auf der Suche nach Erfüllung, nach Nähe. Als er dem jungen amerikanischen Soldaten Eugene (Drew Starkey) begegnet, ist er sicher, seiner großen Liebe begegnet zu sein.

Kleine Gesten, Blicke, große Körperlichkeit: Craigs Spiel lässt niemanden kalt

Da gibt es die Szene, in der Lee um Eugenes Aufmerksamkeit buhlt: Schon ziemlich angetrunken mit verschwitztem Gesicht und zerknittertem Hemd legt Daniel Craig hier eine Verbeugung vor, die zu Tanz wird - eine der schönsten Szenen des Films und eine der schönsten filmischen Liebeserklärungen überhaupt. Sie werden ein Paar. Doch die Ungewissheit, ob sein junger Liebhaber überhaupt queer ist, bleibt.

Wie Craig die Verlorenheit und Einsamkeit seiner suchtkranken und liebessüchtigen Figur spielt, in kleinen Gesten, mit Blicken und großer Körperlichkeit, wird niemanden kalt lassen. Diese Intensität hat, wenn man so will, nur eine Kehrseite: Er spielt vor allem das Objekt seiner Begierde - Drew Starkey - komplett an die Wand. Der wirkt brav und geradezu langweilig.

Unterstellen wir mal, dass Guadagnino es so gewollt hat. Sein Ziel als bekennender Burroughs-Fan war es, den Geist des Romans zu erfassen, und der ist geprägt von dem Geist Lees, dem Alter Ego Burroughs. Auch das letzte Kapitel, das der nie geschrieben hat und den das Drehbuch anfügt, verpflichtet sich einem der letzten Gedanken, die Burroughs in sein Tagebuch schrieb: "Wie kann ein Mensch, der fühlt und sieht, anders als traurig sein?" ("How can a man who sees and feels be other than sad?")

Ein aufregender, stilsicherer und auch mutiger Film

"Queer" ist ein aufregender, stilsicherer und auch mutiger Film. Anders als die vor allem visuell Maßstäbe setzende Verfilmung David Cronenbergs Anfang der 90er von Burroughs‘ "Naked Lunch" steht in "Queern" nicht die Drogenerfahrung, sondern das Innenleben Lees im Vordergrund. Und da ist die Besetzung von Daniel Craig eine großartige Entscheidung. Mutig sind die expliziten Sexszenen. Dazu kommt Guadagninos Entscheidung, ausschließlich im Studio zu drehen, was dem Film eine bewusste Künstlichkeit verleiht, die auch in den Traumsequenzen aufgegriffen wird. Verschmelzung und Begehren finden hier zu einer ganz eigenen Poesie. Ob homosexuell oder nicht, geht es hier ganz universell um die Suche eines Menschen nach der absoluten Liebe.

Christine Deggau, radio3

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