Armand © Pandora Film Verleih
Pandora Film Verleih
Bild: Pandora Film Verleih Download (mp3, 12 MB)

Norwegisches Drama - "Armand"

Bewertung:

Der norwegische Regisseur Halfden Ullmann Tøndel ist ein Enkel des legendären schwedischen Regisseurs Ingmar Bergmann und der norwegischen Schauspielerin Liv Ullmann. Tøndel, Jahrgang 1990, hat bisher Kurzfilme gedreht, jetzt kommt sein erster Spielfilm "Armand" ins Kino. Die Hauptrolle spielt die norwegische Schauspielerin Renate Reinsve. Sie wurde 2021 mit dem Film "Der schlimmste Mensch" von Joachim Trier bekannt. "Armand" hat letztes Jahr beim Filmfestival in Cannes die Goldene Kamera gewonnen - jetzt ruhen auch die norwegischen Oscar-Hoffnungen in der Kategorie "Bester Internationaler Film" auf dem Werk.

Den sechsjährigen Schüler Armand, nach dem der Film benannt ist, wird das Publikum kein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Dem Jungen wird vorgeworfen, seinen Mitschüler Jon sexuell bedrängt, bedroht, belästigt zu haben. So genau ist das nicht in Erfahrung zu bringen.

Heikle Mission

Beide Jungen treten in dem Film nicht in Erscheinung. Es sind die Eltern von Jon, die diesen Vorwurf erheben. Die Nachwuchslehrerin Sunna hat jetzt die schwierige Aufgabe, mit ihnen und der alleinerziehenden Mutter von Armand zu klären, was genau vorgefallen ist. Die unerfahrene Sunna fragt mehrfach nach, ob das Verfahren für ein solches Elterngespräch geregelt ist, erhält aber nur vage Antworten. Zu allem Übel ist auch noch der Feueralarm kaputt: ein deutliches Zeichen, dass in der Schule etwas nicht stimmt. Auch der Direktor weicht aus.

Am Ende sitzt die junge Lehrerin Sunna mit den Eltern von Jon und der Mutter von Armand nach Schulschluss ein einem leeren Klassenzimmer. Vordergründig geht es ruhig zu, aber unter der Selbstbeherrschung kochen lang verdrängte Emotionen.

Armand © Pandora Film Verleih
Bild: Pandora Film Verleih

Die Macht der Schuld

Halfden Ullmann Tøndel erweist sich als würdiger Erbe seines Großvaters Ingmar Bergmann. Offen ausgesprochen wird wenig, aber zwischen den Zeilen ist alles zu spüren: Hass, Liebe, Eifersucht, Rachsucht, Schmerz und Trauer. Vielleicht auch ein Machtkampf, jedenfalls versucht Sarah, die Mutter von Jon, die Schule unter Druck zu setzen.

"Ich muss die Schule bitten, das wirklich ernst zu nehmen."

"Na klar, das tun wir doch, ich verspreche es Dir."

"Ich habe das Gefühl, dass Elisabeth das alles nicht verkraftet."

"Mir ist klar, dass wir Rücksicht auf sie nehmen müssen - so, wie die Dinge liegen. Aber es fühlt sich nicht richtig an, dass sie die Sache einfach leugnet."

Es ist das große Schweigen, das sich wie Blei über alles legt. Die Eltern von Jon erstarren, die Mutter von Armand verfällt in einen hysterischen Lachanfall, der eher einem Weinkrampf gleicht. Worte findet niemand. Nach und nach stellt sich heraus, dass alle schon zusammen in diese Schule gegangen sind. Und dass der heutige Direktor damals ihr Lehrer war.

Armand © Pandora Film Verleih
Bild: Pandora Film Verleih

Die Schule als Geisterhaus

Eigentlich sieht die Schule ganz gewöhnlich aus. Aber nach Schulschluss wirken die langen grau gestrichenen Korridore gespenstisch. In dem Film ist die Schule ein Erinnerungsgebäude, in dem die komplizierten und unauflösbaren Gefühlsverstrickungen angelegt sind. Die Erwachsenen trudeln durch die leeren Gänge und sind in den Gesprächspausen aufeinander geworfen. Auf einmal kommen die Abgründe zwischen den Eltern von Jon ans Tageslicht:

"Wie kam Jon zu den blauen Flecken am ganzen Körper?"

"Das weißt Du doch."

"Ja, aber Du hast etwas anderes gesagt."

"Was meinst Du?"

"Als wir mit Sunna und Elisabeth gesprochen haben."

"Wovon redest Du? "

"Du hast gesagt, Armand hätte Jon die blauen Flecken zugefügt. Er hatte sie aber schon vor der Episode mit Armand.“

Die Schule wird zum Geisterhaus. Alles bleibt ambivalent. Renate Reinsve spielt Elisabeth, die Mutter von Armand, mal als Opfer einer Hexenjagd, dann wieder als Egomanin. Bis dahin wirkt der Film wie aus einem Guss. Dann aber entschließt sich der Regisseur zu einem radikalen Bruch. Er löst die Gefühle in eine Choreografie auf. Das wirkt nach dem subtilen Anfang fast quälend deutlich und funktioniert vor der Kamera schlecht. Der etwas artifizielle Tanz nimmt der Geschichte das Unheimliche.

Simone Reber, radio3

weitere rezensionen

September 5 © Constantin Film
Constantin Film

Drama - "September 5 - The Day Terror Went Live"

Als 2011 Tim Fehlbaums "Hell" in die deutschen Kinos kam, war das eine kleine Sensation: Eine beeindruckende, apokalyptische Zukunftsvision, die sich fast wie eine Endzeitdokumentation anfühlte, die sich ganz ohne teuren CGI-Budenzauber mit amerikanischen Produktionen messen lassen konnte. Der neue, dritte Film von Tim Fehlbaum rekapituliert das Attentat der Terrorgruppe "Schwarzer September" auf das Viertel der israelischen Sportler im Olympiadorf in München 1972. Premiere feierte der Film auf dem Festival in Venedig, seitdem wird er hoch gehandelt. Morgen kommt "September 5" in unsere Kinos.

Bewertung:
Das Mädchen mit der Nadel © MUBI
MUBI

Düsteres Drama - "Das Mädchen mit der Nadel"

Eine junge Frau wird ungewollt schwanger, möchte ihr Kind zur Adoption freigeben und gerät dabei in die Fänge einer Kindsmörderin. In Magnus von Horns "Das Mädchen mit der Nadel" vermischen sich True Crime, Horror und Sozialdrama zu einer düsteren Tragödie. In dem Oscar-nominierten Film überzeugen sowohl die beiden Hauptdarstellerinnen als auch die expressionistische Schwarz-Weiß-Ästhetik von Kameramann Michal Dymek.

Bewertung:
Queer © THE APARTMENT SRL - NUMERO 10 SRL - PATHÉ FILMS - Gianni Fiorito
THE APARTMENT SRL - NUMERO 10 SRL - PATHÉ FILMS - Gianni Fiorito

Literaturverfilmung nach William S. Burroughs - "Queer"

Bei den Filmfestspielen in Venedig wurde "Queer" von Luca Guadagnino gefeiert, eine Literaturverfilmung der Beat-Ikone William S. Burroughs. Die Hauptrolle spielt Daniel Craig, den wir knapp 15 Jahre als James Bond erlebt haben: als Mann mit stählernem Körper und eisigem Gesichtsausdruck. 2021 nahm er Abschied als Bond und macht seitdem das, worauf er Lust hat. In "Queer" spielt er einen versoffenen, abgehalferten Junkie. Auch wenn Craig diese Rolle nicht als Abschied von seinem Image verstehen will, ist sie das natürlich doch: 007 ist der Inbegriff von heterosexueller Männlichkeit - mehr geht eigentlich nicht. Der Lee, den Craig hier verkörpert, ist das ganze Gegenteil: suchend, hadernd, verletzlich, schwul.

Bewertung: