Kunst-Biopic - "Niki de Saint Phalle"
Niki de Saint Phalle hat mit ihren fröhlich-bunten Nana-Skulpturen Weltruhm erlangt. Sie war aber auch eine radikale Aktionskünstlerin, die in ihrer Frühphase ihre Gemälde mit Messern und Gewehren attackiert hat. Céline Sallettes Filmbiografie zeigt eine Lebensgeschichte voller Widersprüche und Abgründe, wird aber der Komplexität der Künstlerin trotzdem nicht gerecht.
Paris, Anfang der 50er Jahre: Niki de Saint Phalle (Charlotte Le Bon), die zu diesem Zeitpunkt noch Catherine Matthews heißt, ist mit Ehemann Harry (John Robinson) und Tochter Laura in die französische Hauptstadt übergesiedelt – auf der Flucht vor dem McCarthyismus und dem konservativen Klima in den USA.

Dämonen der Kindheit
Als Model und Schauspielerin träumt Niki von einem größeren Leben, wird aber gleichzeitig verfolgt von den Dämonen ihrer Kindheit. Ihr Vater hat sie als kleines Mädchen sexuell missbraucht. Diese – lange unterdrückte – Erkenntnis bringt Niki um ihren Schlaf und führt sie schließlich in eine Nervenheilanstalt nach Nizza, wo sie mit dem Psychiater Dr. Cossa (Alain Fromager) um die Wahrheit ihres Lebens ringt. Zunächst droht die junge Frau an der Anstaltsroutine zu zerbrechen, dann aber entdeckt sie durch einen anderen Patienten die Kunst – und die wird für sie zur seelischen Rettung und zum Ventil für ihre Emotionen.
Die Kunst als seelische Rettung
In "Niki de Saint Phalle" konzentriert sich die französische Regisseurin Céline Sallette auf eine begrenzte Zeitspanne im Leben ihrer Protagonistin - auf jene Zeit zwischen den Jahren 1951 und 1962, in der Niki de Saint Phalle ihren künstlerischen Durchbruch hatte. Dabei stützt sie sich auf deren autobiografische Erinnerungen aus dem Buch "Harry and me: 1950-1960. The Familiy Years", nimmt sich aber auch immer wieder die Freiheit, eigene Deutungen ins Drehbuch miteinfließen zu lassen.
Von den Männern übel mitgespielt
Sallettes Niki ist eine Frau, der von den Männern übel mitgespielt wird. Bei Modeaufnahmen als Model wird sie von den Fotografen rüde herumkommandiert, Ehemann Harry betrügt sie (sie ihn allerdings auch) und der renommierte Kunstkritiker René Drouin (Xavier de Guillebon), der sie in ihrem Atelier besucht, begnügt sich mit herablassenden Ratschlägen. Am Schwersten aber wiegt der Verrat ihres Psychiaters, der sich weigert, den Missbrauch durch ihren Vater anzuerkennen, weil der nicht in sein eigenes konservatives Weltbild passt.

Mit dem Gewehr in die Kunstgeschichte
Trost findet Niki nur in der Kunst – und in der Gesellschaft von Jean Tinguely (Damien Bonnard). Der Schweizer Bildhauer, der später ihr zweiter Ehemann werden wird, ist mit seinen kinetischen Skulpturen ebenfalls ein Außenseiter auf dem Kunstmarkt und hat Verständnis für ihren radikalen Sonderweg. Als Niki beginnt, ihre Kunstwerke mit Messern zu bewerfen und mit einem Gewehr zu beschießen, lösen sich nicht nur ihre Ängste, sie hat auch endlich den Schritt zur selbstbewussten Künstlerpersönlichkeit geschafft.

Die Kunst bleibt Behauptung
"Niki de Saint Phalle" ist ein Einblick in die formativen Jahre einer Ausnahmekünstlerin, der jedoch getrübt wird durch die Tatsache, dass die eigentlichen Kunstwerke nie gezeigt werden. Die Künstlerin vor der Leinwand, den Pinsel oder das Gewehr im Anschlag, zerbrochene Teller auf dem Küchenboden oder der Ausschnitt eines Mobiles, in dem Niki die Spielzeuge ihrer Kinder verarbeitet hat – es sind lediglich Fragmente, aus denen sich der Zuschauer ein Bild von Saint Phalles Kunst zusammensetzen muss. Diese Entscheidung von Regisseurin Sallette ist nicht nur rätselhaft, sie ist geradezu ärgerlich, weil man dadurch so gar nichts mitbekommt von der künstlerischen Entwicklung ihrer Hauptfigur.
Niki de Saint Phalles Kunst, ihre fröhlich-bunten Nanas oder die fantasievollen Skulpturen in ihrem Tarot-Garten in der Toskana, sie sind heute weltberühmt. In Céline Sallettes Film aber spielen sie keine Rolle. Schade eigentlich!
Carsten Beyer, radio3