Tragikomödie von Yorgos Lanthimos - "Kinds of Kindness"
Greek Weird Wave – schräge griechische Welle – so werden die Filme genannt, die in und nach der griechischen Finanzkrise entstanden und die verstörende Lebenssituation aufnahmen. Einer der berühmtesten Vertreter der Greek Weird Wave ist der Regisseur Giorgos Lanthimos. Er ist inzwischen längst im internationalen Kino angekommen. In diesem Jahr gewann er vier Oscars für seinen Film "Poor Things". Jetzt kommt der nächste Film von Giorgos Lanthimos ins Kino: "Kinds of Kindness" heißt er. Hauptdarsteller Jesse Plemons gewann für seine Rolle darin dieses Jahr den Darstellerpreis beim Filmfestival in Cannes.
In "Kinds of Kindness" geht es um zwischenmenschliche Beziehungen, um Liebe, um Machtverhältnisse. Giorgos Lanthimos und Efthimis Filippou, die zusammen das Drehbuch geschrieben hat, teilen den Film in drei verschiedene Geschichten auf. Im ersten Teil geht es um den Angestellten Robert, der den unheimlichen Auftrag hat, einen bestimmten Wagen, an einer bestimmten Kreuzung mit seinem Auto zu rammen. Das geht schief und als er danach bei seinem Chef vorspricht, bekommen wir eine Ahnung, wieweit dieser über die Privatsphäre seines Angestellten bestimmt.
Film als Triptychon
Willem Dafoe spielt den dämonischen Boss. Wer den Schauspieler kennt, weiß, dass er kein Gramm Fett am Körper hat. Im Verlauf der Sequenz werden die Willkür und die Allmacht dieses Vorgesetzten immer deutlicher. Aus den Gesten scheinbarer Freundlichkeit und Fürsorge erwächst eine fast monströse Macht. Und die Kunst von Giorgos Lanthimos liegt darin, das Unwohlsein immer weiter zu steigern, ohne dass er explizit ausführt, was genau zwischen den Menschen stattfindet.
Das Interessante an der Form des Triptychon ist, dass in allen drei Teilen die gleichen Schauspielerinnen und Schauspieler unterschiedliche Charaktere spielen. So entstehen am Ende verschiedene Facetten des Menschen. Im ersten Teil spielt Jesse Plemons den Angestellten, der bereit ist, alles für seinen Chef zu tun. Im zweiten Teil ist er Daniel, ein Polizist, dessen Frau Liz, eine Meeresforscherin, vermisst wird. Emma Stone taucht als Liz unverhofft wieder auf, aber ihr Mann findet irgendetwas seltsam an ihr.
Liz: "Kriege ich eine Zigarette?"
Daniel: "Ja. Habe nicht gewusst, dass Du rauchst, Liz."
Liz: "Ich rauch' nicht, habe ich noch nie gemacht. Stell Dir vor, noch nicht mal gezogen! Hatte nur gerade Lust auf eine Zigarette."
Ist Liz ein Alien, eine Wiedergängerin oder einfach die Frau des Polizisten, die durch ein Unglück traumatisiert wurde? Daniel stellt jedenfalls die Liebe seiner Frau auf die Probe – und das auf die gruseligste Art.
Im dritten Teil ist Jesse Plemons Mitglied eines Kultes und sucht nach einer Person, die fähig ist, Tote wieder zum Leben zu erwecken. Insofern ist das Triptychon hier so eine Art satanisch sakrale Form, die verschiedene Dynamiken zwischen den Menschen erlaubt. Alle bewegen sich tief in den Abgründen zwischen Herrschsucht und Liebe.
Drei Teile – ein Ganzes
Auch wenn die Geschichten konstruiert klingen, in dem Film fügen sie sich harmonisch zusammen. Das liegt daran, dass allen Teilen die gleiche Filmsprache eigen ist, die schräge Anmutung, die etwas surreale Überzeichnung, auch die spitzen Farben: lila, bordeaux, panzergrau. Das liegt natürlich auch am Ensemble. Emma Stone steht eher für das Star-System von Hollywood, Willem Dafoe kommt aus dem Experimental-Theater und Jesse Plemons ist Spezialist für Nobodies. Im Zusammenspiel entsteht ein kaleidoskopisches und erstaunlich organisches Bild. Herausragend ist dieser Film, weil er auf intellektueller Ebene Spaß macht, weil man ihn rational analysieren kann und weil er trotzdem die Instinkte angreift. Da verbindet "Kinds of Kindness" Grusel mit Geist.
Simone Reber, radio3