Eine Erklärung für Alles © Grandfilm
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Coming-of-Age-Drama - "Eine Erklärung für Alles"

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Auf staatliche Filmförderung hat der ungarische Regisseur Gábor Reisz von vornherein verzichtet. Sein Film "Eine Erklärung für Alles" handelt von der tiefen Zerrissenheit Ungarns seit Viktor Orbán und seine Fidesz Partei an der Macht sind. In dem Film löst ein einziger harmloser Satz eine Kaskade politischer Empörung aus. Premiere feierte der Film im letzten Jahr beim Filmfestival von Venedig, dort hat er auch einen Preis gewonnen. Jetzt kommt "Eine Erklärung für Alles" bei uns ins Kino.

Eine Erklärung für Alles © Grandfilm
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Gábor Reisz hat den zweistündigen Film mit einem Etat von 100.000 Euro gedreht. Er hat nicht nur Regie geführt, sondern auch gemeinsam mit Éva Schulze das Drehbuch geschrieben und beim Schnitt mitgearbeitet.

Der charmante Film bietet viele Erklärungen für alles. Eine taucht schon in der ersten Kapitelüberschrift auf: "Abel ist verliebt". Aber Abel macht auch gerade Abitur. Gábor Reisz nähert sich dem Tag der Prüfung langsam an, der Film beginnt mit winzigen Bildern im Handyformat, die Primaner feiern noch ausgelassen. Die Bilder werden immer größer, der Tag des Abiturs rückt näher.

Viele Erklärungen

Zu Hause fragen sich Abels Mutter und Vater gegenseitig: "Was macht er?" und antworten beruhigt: "Er lernt."

Tatsächlich versucht Abel zu lernen, aber sein Kopf ist voll mit anderen Gedanken. Er ist in Janka verliebt, Janka wiederum in den Geschichtslehrer Jakab ... Bei der Prüfung bekommt er kein Wort heraus. Es herrscht beklemmendes Schweigen im Raum:

"Trem, Abel …Welches Thema?

"Julius Cäsar."

"Schaffst Du es nicht, Abel? Möchtest Du ein Glas Wasser. Abel, schau‘ mich an. Atme tief ein, beruhige dich und fang an. Um welche Epoche handelt es sich? Möchtest du vielleicht eine Landkarte? Stimmt etwas nicht, Abel?“

Und dann fällt der entscheidende Satz: "Warum trägst Du einen Ungarn-Anstecker?"

Der Hauptdarsteller Gáspár Adonyi-Walsh dehnt die Gesprächspausen virtuos zu langen Qualen. Abel fällt durch, seine Eltern sind entsetzt, die einzige Erklärung, die Abel in diesem Moment formuliert ist: der Geschichtslehrer habe Anstoß daran genommen, dass er die Kokarde mit den ungarischen Nationalfarben am Revers getragen habe.

Die Wunden der Vergangenheit

Gábor Reisz bleibt ganz in der grandiosen Tradition des ungarischen Kinos, das mit Alltagsgeschichten politisch komplexe Zusammenhänge analysiert. Dazu kommt ein Schuss französischer Leichtigkeit und: die Jugendlichen. Ihre Unsicherheit, ihre Gefühlsextreme, erinnern ein bißchen an die Figuren bei Richard Linklater. Der Film ist in wasserhellen Farben gedreht, die Bilder wirken fast gläsern, wie unter einer durchsichtigen Folie.

Tatsächlich geht es in der Geschichte darum, wie zart die glatte Narbenhaut der Gegenwart über die Wunden der Vergangenheit gewachsen ist. Für einen kurzen Moment brechen diese Wunden wieder auf. Abels Vater wählt die Fidesz Partei, der Geschichtslehrer Jakab steht eher links. Und wird die Abiturprüfung zum öffentlichen Skandal? Das Fernsehen thematisiert die Kokarde, die in Ungarn eigentlich am 15. März getragen wird, um die 1848er Revolution zu feiern. Der Film rollt die ganze Zuspitzung des Konflikts in einer Woche auf, mit ironischen Raffungen, die der Hitze der politischen Auseinandersetzung mit abgeklärter Distanz begegnen.

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Ein müdes Land

Das Land wirkt frustriert, schlecht gelaunt, gereizt oder wütend. Die Schülerinnen und Schüler haben Liebeskummer. Die Wohnungen von Abels Eltern und Jakabs Familie sehen gut bürgerlich aus, aber es klemmt an allen Ecken und Enden: Der Kühlschrank läuft aus, der Wasserhahn tropft, Fenster und Türen sind zugig, manche Menschen träumen davon auszuwandern. Das Kunstvolle an dem Film ist, wie Gábor Reisz diese Fehler im Alltag mit den Fehlern im System gleichsetzt. Die Abiturientinnen und Abiturienten kennen nicht einmal den Namen von Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission.

In einem Showdown zwischen Abels Vater und seinem Geschichtslehrer Jakab sieht und hört man, wie die Sicht auf die Vergangenheit die Gesellschaft spaltet. Am Ende findet Abel allerdings noch eine weitere, ziemlich plausible Erklärung dafür, dass er den Stoff einfach nicht lernen konnte. Und das ist der Zauber dieses amüsanten Films: Er verschränkt Politik, Geschichte, Alltag, Liebe und Erwachsenwerden leichthändig zu einem hoffnungsvollen Ganzen.

Simone Reber, radio3

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