Restaurierte Fassung zum 40. Jubiläum - "Paris, Texas" von Wim Wenders
1984, nachdem das Road Movie zuvor in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, kam "Paris, Texas" in die Kinos. Zum 40-jährigen Jubiläum erstrahlt das grandiose Meisterwerk frisch auf 4K restauriert mindestens so traumhaft und melancholisch schön, wie Robby Müller es damals fotografiert hat. Im Frühjahr wurde die restaurierte Fassung bereits als "Cannes Classic" auf dem Festival an der Croisette gefeiert, letzte Woche gab es bei schönstem Sommerwetter eine Berlin-Premiere im Freilichtkino Friedrichshain, in Anwesenheit von Wim Wenders.
Mit den sirrenden Gitarrenklängen von Ry Cooders Soundtrack wird der Zuschauer augenblicklich in die melancholische Stimmung des Road Movies versetzt, mitten hinein in die texanische Wüstenlandschaft mit den erhabenen Bergmassiven, die man aus den Filmen von John Ford kennt. Eine Landschaft, von der in den 80er Jahren auch der junge deutsche Filmemacher Wim Wenders träumte.
Im Freilichtkino erinnerte er sich daran, wie es war, als er zum ersten Mal Ry Cooders Klänge zu seinen Bildern hörte:
"Das war echt ein altes Kino in Los Angeles, in dem er (Ry Cooders) seine Tonaufnahmegeräte aufgebaut hatte - und dann hat er zum ersten Mal vor der Leinwand live zum Film seine Musik probiert. Ich erinnere mich heute noch an diese ersten Töne, die er produziert hat: Ich habe am ganzen Körper gezittert - sowohl vor Ehrfurcht als auch vor Begeisterung und auch vor Freude, dass das die Musik des Films werden würde. Und es geht mir heute noch so: Bei der ersten Einstellung, wenn die Gitarre von Ry einsetzt, kriege ich immer noch Gänsehaut."
Ein deutsch-amerikanischer Traum
Diese Musik von Ry Cooder trägt die melancholische Grundstimmung des Films, versetzt die atemraubend schönen Bilder des Kameramanns Robby Müller und die sparsam schönen Dialoge von Sam Shepard in Schwingung. Shepard, der nicht nur ein bekannter Schauspieler, sondern auch Schriftsteller ist, hat sich hier mit Wim Wenders für einen deutsch-amerikanischen Traum verbündet, wie der Regisseur im Freilichtkino erzählte:
"Es ist das Bild eines Europäers von Amerika. Als bekennender deutscher Romantiker konnte ich eigentlich keinen realistischen Film über Amerika machen, das wollte ich auch nicht. Das ist durchaus ein überhöhender und auch ein bisschen utopischer Film. Gleichzeitig ein Film, der das Bild von Amerika verarbeitet hat, und der noch gesehen hat, was es an Schönem zu sehen gab in Amerika. Das wird einem heute schon viel schwerer fallen."
Ein wortkarger Westernheld auf der Suche nach seiner Familie
1984 war dieser Film eine ungeheure Sensation, ein enormer Kontrast zu kommerziell erfolgreichen deutschen Klamotten wie "Zwei Nasen tanken Super" mit Mike Krüger und Thomas Gottschalk oder "Didi der Doppelgänger" mit Dieter Hallervorden. Im Kontrast zu diesem hyperaktiven Quasselstrippen-Kino war "Paris, Texas" ein Film, in dem erst mal nicht viel passiert, der in Stimmungen schwelgt, in dem der verlorene Held in den ersten 25 Minuten gar nicht spricht.
Aus dem Nichts der amerikanischen Wüstenlandschaft kommt da ein schlaksiger, verloren wirkender Mann gelaufen, mit rotem Cappy, im verstaubten dunklen Nadelstreifenanzug. Verkörpert wird dieser Travis von Harry Dean Stanton, der bis dahin zuverlässiger Nebendarsteller unzähliger amerikanischer Western war, dem Wenders in "Paris, Texas" seine erste tragende Hauptrolle verschafft hat.
Im Film geht es dann zunächst darum, wie dieser verwahrloste, halbverdurstete, verstummte Mann, der vier Jahre lang verschwunden war, ganz langsam ins Leben zurückfindet, wofür sich der Film viel Zeit nimmt. Sein Bruder Walt (Dean Stockwell) holt ihn in der Wüste ab, fährt mit ihm zurück in die Zivilisation. Er und seine Frau (Aurore Clément) nehmen ihn in ihrem Haus auf, so wie sie zuvor schon seinen kleinen Sohn Hunter adoptiert haben.
Verbindung und Trennung, Nähe und Fremdheit
Mit großer Ruhe, ganz ohne dramaturgischen Druck, beobachtet der Film die langsame Annäherung zwischen Vater und Sohn, bis sich die beiden in Huston auf die Suche nach Hunters Mutter machen, die von Nastassja Kinski gespielt wird. Travis findet sie in einer Peepshow, die es so wie im Film gar nicht gibt, die Wim Wenders für diese Geschichte erfunden hat. Ein Raum, in dem die Frau sitzt, ist durch eine einseitig verspiegelte Glasscheibe von dem Raum getrennt, in dem der Mann sitzt: Er kann sie sehen, sie ihn nicht. Verbunden sind sie wie im Besuchsraum eines Gefängnisses durch ein Telefon.
Zwei Menschen, von denen nur der eine den anderen sehen kann - das ist die Vorlage für eine der schönsten und berührendsten Liebesszenen des Kinos, ein Meisterstück aus Verbindung und Trennung, aus Distanz und Nähe. Sie kann ihn nicht sehen, als er beginnt, eine Geschichte zu erzählen:
"Zwei Leute, die einander liebten. Das Mädchen war sehr jung, so um die 17 oder 18 ungefähr, und der Mann war ein ganzes Stück älter. Er war ein ziemlicher Rumtreiber. Sie war wirklich sehr schön, ich will sagen, sie hat ihn geliebt, weil er so verrückt war, da hat sein Alter keine Rolle gespielt. Alles was sie taten, machten sie zu einer Art Abenteuer und das gefiel ihr …"
Malen mit Licht und Farbe
Nicht von irgendwelchen Liebenden handelt diese Geschichte, es geht um Jane und Travis, und es ist atemraubend dabei zuzuschauen, wie sie das langsam erkennt und was das mit ihr macht. So ist "Paris, Texas" eine große und tragisch schöne Liebesgeschichte und zugleich eine Liebeserklärung an ein Amerika, das es so gar nicht mehr gibt, erdacht von Wim Wenders und Sam Shepard, in Schwingung versetzt von Ry Cooders Gitarre und von dem Kameramann Robby Müller in den magischen Schein von Neonreklamen, Straßenlaternen und Sonnenuntergängen getaucht.
Anke Sterneborg, radio3
Anm. d. Redaktion: Vielen Dank an die Wim Wenders Stiftung für die zur Verfügung gestellten Tonaufzeichnungen!