Doku-Drama - "Führer und Verführer"
Als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda war Joseph Goebbels nicht nur ein enger Vertrauter von Adolf Hitler, er hat auch entscheidend dazu beigetragen, den Führer-Kult in den Köpfen der deutschen Bevölkerung zu verankern. Joachim A. Langs Doku-Drama "Führer und Verführer" zeigt, wie eng der Diktator und sein Sprachrohr zusammengearbeitet und wie sehr sie aufeinander angewiesen waren.
Filme über den Nationalsozialismus gibt es schon sehr viele - auch über die Menschen im engsten Führungszirkel um Adolf Hitler. Wenn sich Joachim A. Lang nun noch einmal die Mühe macht, sich über zwei Stunden lang mit Joseph Goebbels auseinanderzusetzen, dann hat das vor allem einen Grund: In "Führer und Verführer" möchte der Dokumentarist ("Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm") hinter die Kulissen ins Innere der Macht blicken und die Mechanismen der Demagogie durchschaubar machen.
Mechanismen der Demagogie
Goebbels wird in diesem Film von Robert Stadlober gespielt - mit Klumpfuß und öligem Charme -, dessen rheinischer Dialekt manchmal ein wenig hölzern daherkommt. Ob er nun in Berliner Nobelrestaurants mit Schauspielerinnen flirtet oder vor seinen engsten Vertrauten Vorträge über das Wesen der Propaganda hält: vieles von dem, was Lang den Reichspropagandaminister in diesem Film sagen lässt, sind wörtliche Zitate aus Briefen, Protokollen und aus seinen Tagebüchern.
Goebbels Stern steigt
Der erzwungene Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland, das Münchner Abkommen, der Überfall auf Polen und schließlich Stalingrad: die Ereignisse nehmen ihren Lauf und der Stern des Joseph Goebbels steigt, obwohl seine Gegner im engsten Machtzirkel immer wieder gegen ihn intrigieren. Hitler (Fritz Karl) aber weiß, was er an seinem Propagandaminister hat – und hegt zudem große Sympathien für dessen großbürgerliche Frau Magda (Franziska Weisz). Die geht soweit, dass er seinen Minister zwingt, eine Affäre mit der tschechischen Filmdiva Lída Baarová (Katia Fellin) schleunigst zu beenden.
Überraschendes Tondokument
Doch "Führer und Verführer" ist kein reiner Spielfilm, sondern er folgt den Gesetzen des Doku-Dramas. Die Spielszenen werden immer wieder unterbrochen, teilweise auch ergänzt durch Dokumentaraufnahmen aus den 30er und 40er Jahren. Das vielleicht überraschendste Tondokument liefert Joachim A. Lang dabei bereits zu Beginn seines Films: Ein Ausschnitt aus einem Gespräch Hitlers mit seinen Generälen, das 1942 heimlich ohne sein Wissen mitgeschnitten wurde. Da spricht der Diktator nüchtern und fast wie ein Bürokrat über die mangelnde Tauglichkeit der deutschen Panzer für einen Winterkrieg – sehr weit weg ist das von dem fanatischen Volksredner, den man aus den Filmaufnahmen des Propagandaministeriums kennt.
Gewagte These
War Hitler also von seinem Wesen her gar keine charismatische Führerfigur? Hat ihn erst sein Propagandaminister zu dem Mann gemacht, als den wir ihn heute sehen?
Das ist eine gewagte These, die Lang durch Spielszenen unterfüttert: Als Hitler die Friedenssehnsucht der Deutschen leid ist und einen Krieg anzetteln möchte, da ist es Goebbels, der ihm die Argumente für einen Überfall auf Polen liefert, auch wenn er selbst von der Sinnhaftigkeit eines Krieges nicht überzeugt ist. Später dann, als die Aufkündigung des Hitler-Stalin-Pakts und der Angriff auf Russland zum militärischen Desaster wird, ist es wiederum Goebbels, der seinem "Führer" aus der Patsche hilft: In seiner Sportpalast-Rede schwört er die Deutschen auf den totalen Krieg ein, bevor er dann, gut zwei Jahre später, das ultimative Opfer bringt: Die Ermordung seiner Kinder und den Selbstmord an der Seite seiner Frau bezeichnet Goebbels als seine letzte Inszenierung.
Grausame Dokumentarfilmszenen
"Führer und Verführer" ist ein Film, den man eigentlich mit seinen Kindern zusammen anschauen sollte, weil er Mechanismen der Verführung zeigt, die auch heute – immer noch oder wieder – funktionieren. Dass der Film auch eine ganze Reihe von sehr grausamen Dokumentarfilmausschnitten zeigt, ist dabei nicht besonders hilfreich. Besser wäre es wohl gewesen, Lang hätte sich stärker auf die Stimmen seiner Zeitzeugen gestützt, die im Film an verschiedenen Stellen auftauchen und die am Ende auch das Schlusswort sprechen:
"Menschen haben Menschen zu respektieren", sagt da die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer. "Seid Menschen, das ist das Wichtigste!“
Carsten Beyer, radio3