Berlin Art Week - KINDL-Zentrum für zeitgenössische Kunst: Alfredo Jaar und Samuel Fosso
Der Chilene Alfredo Jaar bezeichnet sich selbst als Architekt, der Kunst macht. In einer ortsspezifischen Installation im KINDL-Zentrum für zeitgenössische Kunst in Neukölln setzt er sich mit unserer Jagd nach seltenen Rohstoffen auseinander. Samuel Fosso dagegen ist einer der bekanntesten Fotokünstler des afrikanischen Kontinents. Auch ihm widmet das privat betriebene Ausstellungshaus eine Einzelausstellung.
So inszeniert man Bedeutung: Das riesige, 20 x 20 x 20 Meter messende alte Kesselhaus der früheren Kindl-Brauerei ist in schummriges Rotlicht getaucht und leer – bis auf eine Vitrine in der Mitte der Halle. Wie von innen heraus leuchtet es dort. Ein kleiner silbriger Würfel liegt in der Vitrine, 4 x 4 x 4 Zentimeter groß und geschichtet aus Plättchen sehr begehrter Rohstoffe wie Kupfer, Zinn, Platin, Lithium oder "seltene Erden" - 10 Metalle insgesamt, die alle für Speichermedien, für Digitalisierung und Elektromobilität von entscheidender Bedeutung sind - und entsprechend begehrt.
Maximaler Minimalismus
Wie Alfredo Jaar diesen kleinen Würfel im großen Würfel des alten Industriegebäudes in Szene setzt, ist ebenso einfach wie eindrucksvoll - und nur der Anreiz, sich mit den komplexen politischen und ökologischen Zusammenhängen zu befassen, die diese "kritischen Mineralien" eben genau zu so einem kritischen Faktor in der Welt machen. Die meisten dürften davon gehört haben, dass Lithium z.B. vor allem in China für Batterien aller Art verbaut wird, dass die europäischen Staaten versuchen, aus dieser Abhängigkeit herauszukommen und dass beim Wettlauf um die entsprechenden Rohstoffe Umweltschäden und geopolitische Konflikte in Kauf genommen werden. Wer darüber mehr wissen will, für den hat der Künstler zusammen mit dem Wissenschaftler Adam Bobbette, der in Glasgow politische Geologie lehrt, ein informatives Heft zusammengestellt, das – wie der Ausstellungstitel "The End of the World" nahelegt – wenig hoffnungsvoll stimmt.
Rollenspiele
Ganz anders die Ausstellung des Fotografen (und Performers) Samuel Fosso. Geboren in Kamerun, floh er mit einem Onkel in die Zentralafrikanische Republik und eröffnete dort, in der Hauptstadt Bangui, 1975 ein Fotostudio. Da war Fosso 13 Jahre alt. Mit Passfotos, Familienporträts usw. verdiente er seinen Lebensunterhalt. Nach Ladenschluss fotografierte er sich selbst. "70's Lifestyle" heißt diese erste Serie des ganz jungen Fotografen. Eine ganze Wand mit schwarz-weißen Mittelformatfotos zeigt ihn in immer anderen Anzügen, Aufzügen, Verkleidungen: als cooler Typ mit Sonnenbrille und irrwitzigen Schlaghosen, als Judokämpfer oder in Feinrippwäsche vor buntem Vorhang imitiert und probiert er unterschiedliche Rollen.
Erst in den 90er Jahren verschafft ihm eine Einladung zur Fotobiennale in Bamako größere Aufmerksamkeit. Das Pariser Kaufhaus Tati lädt ihn ein. Eigentlich soll er Kundinnen fotografieren, kann aber durchsetzen, dass er wieder selbst sein Modell wird - diesmal mit aufwendigeren Kulissen, mit Requisiten und Kleidern aus dem Warenangebot des Kaufhauses. Fosso inszeniert sich als Typus, als "Rocker" oder als "La Bourgeoise", die die Besucher am Eingang dieser Ausstellung "begrüßt": mit Langhaarperücke, Paillettenkleid und weißer Pelz-Stola.
Freischwimmen mit Angela Davis
Das ist zweifellos ironisch, ein Spaß auch. Aber die Selbstinszenierung in vielerlei Rollen bedeutet gleichzeitig ein "Freischwimmen" von den Zuschreibungen anderer. Mit den Jahren wird Fossos Arbeit auch immer politischer. In einer Art Hommage an schwarze Bürgerrechtler oder afrikanische Freiheitskämpfer schlüpft er in die Rolle von Angela Davis, Martin Luther King oder Nelson Mandela und fotografiert die Serie "Kaiser von Afrika", indem er sich als Mao inszeniert und die "chinesische Invasion", wie er es nennt, die ökonomischen Abhängigkeiten des afrikanischen Kontinents, anprangert. Im bis dato letzten Zyklus schließlich schlüpft der Fotograf in die weiße Soutane des Papstes: Eine Zukunftsvision.
Am eindrücklichsten allerdings ist die Arbeit, in der Fosso ganz bei sich bleibt: Mit der Serie "Erinnerung an einen Freund" reagierte er im Jahr 2000 auf den Tod seines Nachbarn, der von bewaffneten Milizen ermordet wurde. Hier zeigt sich Fosso nackt, allein, auf dem Bett kauernd oder an der Tür horchend: nicht spielerisch, sondern ein Mensch in existentieller Schutzlosigkeit. Die Kamera macht eine innere Qual öffenltich. Auch das ist eine Art von Befreiung vielleicht, ganz anders jedoch als die, die Fosso in seinen vielfältigen Rollenwechseln erprobt hat.
Silke Hennig, rbbKultur