Jüdisches Museum Berlin - "Access Kafka"
Vor 100 Jahren, im Sommer 1924, starb Franz Kafka, aber als Schriftsteller und als Faszinosum könnte er kaum lebendiger sein. Das Jüdische Museum Berlin widmet ihm eine Ausstellung, die Manuskripte, Zeichnungen und Briefe aus Kafkas Nachlass Werken der zeitgenössischen Kunst gegenüberstellt und deren Titel "Access Kafka" gleichzeitig "Zugang" verspricht.
"Zugang" – und damit verbunden auch die Frage nach Zugehörigkeit oder im Gegenteil Exklusion: Das Leitmotiv dieser Ausstellung entspricht einem Leitmotiv in Kafkas Texten. Immer wieder stehen deren Protagonisten vor verschlossenen Türen, kommen nicht hinein oder - wie Gregor Samsa, der sich über Nacht in ein Insekt verwandelt findet - nicht mehr hinaus.
Keine Illustration
Ausdrücklich hat Kafka 1915 in einem Brief, den die Ausstellung zeigt, seinem Lektor erklärt, dass dieses Insekt für eine Illustration nicht in Frage kommt. Es "kann nicht gezeichnet werden" schreibt er wörtlich.
Tatsächlich ist es ja bereits ein Bild, das er - nur eben mit Worten - zeichnet. Würde man es auch noch sichtbar machen, illustrieren, würde das Unfassbare der Geschichte eine fassbare Form erhalten und damit in seiner Wirkung geschmälert. Glücklicherweise folgt die Ausstellung weitgehend der Maßgabe des Schriftstellers. Die wenigsten Arbeiten beziehen sich direkt auf Kafka. Stattdessen eröffnen sie zeitgenössische Perspektiven auf Themen, die ihn beschäftigten.
Kafkaeske Parallelen
Die Ausstellung gliedert sich in Räume, die diesen verschiedenen Themen gewidmet sind: Dem Zugang zum Wort natürlich oder zum Judentum. Auch "Zugang verweigert" ist ein Kapitel überschrieben oder "Raum". Dort sind zum Beispiel Schwarzweiß-Aufnahmen von Gregor Schneiders "Haus Ur" zu sehen, seinem Elternhaus, in das der Künstler immer neue, klaustrophobische Räume hinein baut und so Normalität und Unheimlichkeit auf einzigartige Weise verbindet. Parallelen zu Kafka-Texten lassen sich hier leicht ziehen.
Genauso bei Trevor Paglen, amerikanischer Künstler und Aktivist, dessen Arbeiten sich mit geheimdienstlicher, sogenannter "Aufklärung" und staatlicher Geheimhaltung befassen. "Access Gesetz" heißt der Ausstellungsabschnitt, in dem von ihm beispielsweise eine Serie von Briefen zu sehen ist, alle von einem gewissen "Terry Hogan" unterschrieben – allerdings sieht jede Unterschrift anders aus. Es handelt sich dabei um offizielle Schreiben im Zusammenhang mit einem Programm der CIA, das Terrorverdächtige mit Privatflugzeugen zu geheimen Orten bringt. Die Briefe weisen Zollbehörden anderer Länder an, nicht an Bord des betreffenden Flugzeuges zu kommen. Eine wahrhaft "kafkaeske" Geschichte im Gewand nüchtern gerahmter Dokumente.
Offene Fragen
Jedem dieser Ausstellungskapitel ist ein bestimmter Kafka-Text zugeordnet. Bei "Access Gesetz" etwa ist es Kafkas "Vor dem Gesetz" - auch als "Türhüterlegende " bekannt: Protagonist ist ein "Mann vom Lande", der jahrelang vergeblich wartet, um endlich "in das Gesetz" eingelassen zu werden. Diese Texte liegen aus, zum Mitnehmen. Daneben gibt es kompakte Erläuterungen zu Kafkas Bezug zum jeweiligen Thema und Archivalien wie Briefe, Postkarten, die er geschrieben hat, auch einige seiner kleinen, bisweilen Piktogramm-artigen Zeichnungen – eine Folterszene zum Beispiel.
Man muss genau schauen, lesen, verbinden, um selbst Zugang zu finden. Für den Schnelldurchlauf ist diese Ausstellung ungeeignet. Und obwohl sie viele interessante Aspekte zutage fördert - nicht in jedem Fall erscheint die Auswahl der "assoziierten" Kunst zwingend. Aber vielleicht kann solch ein Unterfangen auch nicht ganz aufgehen, denn Kafka hat "alle erdenklichen Vorkehrungen gegen die Auslegung seiner Texte getroffen", wie Walter Benjamin feststellte. Es bleiben also immer offene Fragen – und immer nur Annäherungen in der Auseinandersetzung damit.
Silke Hennig, radio3