Eugène Carrière: Der Schlaf (Jean-René Carrière) © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Dietmar Katz
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Kupferstichkabinett - "Der andere Impressionismus"

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Leuchtende Farben, stimmungsvolle Motive: dafür steht der Impressionismus, zugleich für das Ende der akademischen Malerei wie für den Aufbruch in die Moderne. Jetzt will das Kupferstichkabinett mit der Ausstellung "Der andere Impressionismus" zeigen, dass es über den Impressionismus der Malerei hinaus einen anderen gibt, mit Schätzen aus dem Kupferstichkabinett, also grafischen Blättern.

Unter schwacher Beleuchtung hängen die knapp 130 Grafiken, denn die Arbeiten auf Papier sind lichtempfindlich. Besonders die der "Sonnengraphiker". Zu ihnen gehört Camille Corot mit seinem fotografischen Experiment "Bäume am Berg". Es ist (1856) ein nahezu abstraktes Bild, mit wilden, entschlossenen Linien, mal dicht übereinander, mal minimalistisch schraffiert, um dem imaginären Licht Raum zu geben; zu sehen gleich am Anfang des Parcours als ein Beispiel des Cliché-Verre, des Verfahrens mit einer gläsernen Druckplatte als Negativ.

Die Kuratorin Anna Marie Pfäfflin nennt es den "Inbegriff des Impressionismus". Der Künstler beschichtet die Glasplatte und kratzt dann seine Zeichnung hinein, legt es auf ein photosensibles Blatt und lässt es von der Sonne belichten: "Und das ist natürlich irre, weil man sagt, die Sonne selbst ist die Malerin solcher Werke."

Licht und Schatten als wesentliche Elemente der Impressionisten

Licht und Schatten – das sind wesentliche Elemente für die Künstler, deren grafische Blätter Anna Maria Pfäfflin als impressionistisch erkennt. Sie waren Franzosen, Engländer, Schweden, US-Amerikaner, Deutsche. Und für sie als Maler gehörte die Grafik in der Regel zu ihrem Handwerk, wenngleich sie keineswegs Profis waren und von denen eher belächelt wurden. Die Blätter: zu wenig perfekt, fanden jene. Doch Perfektion lehnten sie ab, denn zu allererst wollten sie Stimmungen vermitteln, Atmosphärisches. Als Künstler und Künstlerinnen – zu ihnen gehörten Berthe Morisot und Mary Cassett – fühlten sie sich frei zu experimentieren.

Bildergalerie

Kupferstichkabinett: Der andere Impressionismus

Schon Rembrandt ein Impressionist?

Das hatte ihnen Rembrandt bereits gut 100 Jahre zuvor, wie in der Ausstellung zu sehen ist. Theodore Rousseaus Blatt "Gegend um Berry", eine Radierung 1842, hängt hier neben einer "Landschaft mit Bäumen und Bauernhäusern" von Rembrandt, einer Kaltnadelradierungen. Auf dem Blatt von Rousseau sind Sturm und Regen nahezu spürbar, bei Rembrandt zieht scheinbar ein heftiges Gewitter gerade auf oder ab, ein großer Teil des Himmels ist hell.

Anna Maria Pfäfflin lässt die Arbeiten miteinander korrespondieren. Und zeigt: Es gibt im Ausdruck kaum einen Unterschied; was keineswegs als künstlerischer Stillstand zu verstehen ist, vielmehr sieht sie in den Maler-Radierungen eine Wiederbelebung dessen, was nach Rembrandt eingeschlafen war. Die miteinander korrespondierenden Blätter zeigen, wie die Künstler und Künstlerinnen einander inspirierten: Nationen übergreifend in Frankreich, Deutschland, England, Schweden, den USA. Ihre Motive: Landschaften, Porträts, Szenen aus dem Leben in den Großstädten.

In New York hält Joseph Pennell Anfang des 20. Jahrhunderts die Atmosphäre in den Straßen mit Radierungen fest, die Skyscraper-Silhouette, das Flat Iron Gebäude oder in Dampf und Rauch umwobene Industrieorte. Anna Marie Pfäfflin weiß, wie Pennell mit der Aquatinta-Technik Rauch und Smog vor die Wolkenkratzer setzt und so die Realität verwandelt:

"Normalerweise würde man sagen, das sind Bauten, die sind unzerstörbar: Beton und Stahl. Und dann macht er Bilder, in denen er den Rauch, der ja nur ephemer ist und fluide, darüberlegt. Also plötzlich verdeckt das Leichte, das Unscheinbare diese Wolkenkratzer und schafft andere, impressionistische Realitäten.“

Flüchtige Bewegung

Besonders beeindruckend: flüchtige Momente, festgehaltene Bewegung. Eine heranrauschende Welle, Pferderennen (Èduard Manets Kreidelithographie gilt hier als Vorbild für Max Slevogt und Max Liebermann) Straßen bei Nacht, mit sich widerspiegelndem Licht auf nassen Straßen: Künstler reizte das "Spiel mit natürlichem, dem Mond-, und dem elektrischen Licht", weiß Anna Pfäfflin. Besonders wirken Lichtreflexe bei Regen, auf nassem Asphalt. "Solche Effekte, die Licht multiplizieren, sind beliebt“, 1903 bei Joseph Penell, schon ein paar Jahre zuvor bei Franz Skarbina, der 1896 die "Droschke im Regen" als Farblithografie druckt. Oder Lesser Ury, dessen nächtliche Szenen berühmt geworden sind. Überhaupt die Farben: Die Schwarz-Weiß-Drucke vermitteln so viel Atmosphäre, dass die Farben im Kopf entstehen.

Und natürlich sind es immer wieder auch zartfarbige Gummidrucke, frühe Fotografie-Experimente, die sofort als impressionistisch erkannt werden.

Anna Pfäfflin hat mit ihrem Team insgesamt eine hochästhetische Zeitreise geschaffen durch mehr als 150 Jahre, bei der auch die Vielfalt der Druckkunst deutlich wird.

Eine herausragende Ausstellung, die offenbart, welche Werte in der Schatzkammer des Kupferstichkabinetts verborgen sind – und die Pfäfflins These vom anderen Impressionismus bestätigt.

Michaela Gericke, radio3

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