Berlinale | Wettbewerb - "Was Marielle weiß"
Nachdem Tom Tykwers Berlin-Film "Das Licht" außer Konkurrenz als Eröffnungsfilm der 75. Berlinale lief, kommt jetzt der erste deutsche Beitrag mit Bären-Chancen: "Was Marielle weiß" ist der zweite Film des in Karlsruhe geborenen Frédéric Hambalek.
Marielle ist die 13-jährige Tochter von Julia (Julia Jentsch) und Tobias (Felix Kramer). Nach einem Zwischenfall in der Schule, bei dem sie von einer Klassenkameradin eine heftige Ohrfeige kassiert hat, kann sie plötzlich immer und jederzeit sehen und hören, was ihre Eltern tun und sagen.
Ein kleiner Vorfall mit großen Folgen
Daraus entspinnt sich ein vielschichtiges Gedankenspiel, in dessen Verlauf die Dynamik in der kleinen Familie durcheinandergewirbelt wird. Welche Folgen hat es, wenn plötzlich alles auf den Tisch kommt, was Erwachsene nicht unbedingt mit ihrem Nachwuchs diskutieren und womöglich auch voreinander geheim halten wollen?
Das fängt mit kleinen Dingen an: Julia, die heimlich raucht und einen heißen Büroflirt provoziert und Tobias, der am Arbeitsplatz bei der Diskussion eine ziemlich klägliche Figur gemacht hat, zuhause aber behauptet, denen es aber mal richtig gesagt zu haben. "Nein, hast du nicht", merkt trocken die Tochter an.
Mit einem Schlag sind die Kräfteverhältnisse in der Familie völlig verändert, wer von wem Bestätigung sucht, sich bei wem rechtfertigen muss.
Familiensatire und gesellschaftlicher Diskurs
Frédéric Hambalek hat nicht nur Regie geführt, sondern auch das Drehbuch geschrieben. Entzündet hat sich die Idee schon vor mehreren Jahren, als ihm beim Besuch bei Freunden ein neues Babyfon mit Monitor gezeigt wurde und ihm diese Überwachungssituation übergriffig und falsch vorkam - wie ein Angriff auf die Privatsphäre des Kindes. Daraus hat er eine Versuchsanordnung mit einem älteren Kind entwickelt: Was passiert, wenn ein pubertierender Teenager plötzlich Zugriff auf alle Intimitäten der Eltern hat?
Das Ergebnis ist eine Familiensatire, die zu einer ganzen Reihe zum Teil ziemlich manipulativer, absurd komischer aber auch entschieden grausamer Manöver aller Beteiligten führt und zugleich ein gesellschaftspolitischer Diskurs über Privatsphäre, Überwachung und die Fallstricke der Political Correctness ist.
Spannende Prämisse in unnötig steriler Atmosphäre
Trotz der starken Prämisse funktioniert der Film als Ganzes nur mittelprächtig, allzu steril und distanziert ist das Ambiente: Die Wohnungen und Büros sind immer ein bisschen zu nüchtern, mit Ansage neutralisiert, sogar die Nummernschilder der Autos sind fiktiv. Julia Jentsch wirkt als Mutter ausgesprochen spröde und Laeni Geiseler erinnert als Titelheldin an die unheimlichen Kinder in den Filmen von Michael Haneke. Überhaupt weht so eine gewisse "Haneke-Kälte" durch den Film. Allein Felix Kramer rettet bei aller linkischen Hilflosigkeit seiner Figur noch ein wenig menschliche Wärme.
Anke Sterneborg, radio3