Berlinale | Wettbewerb - "Hot Milk"
Der britische Film "Hot Milk" ist das Regiedebüt von Rebecca Lenkiewicz. Als Drehbuchautorin ist sie verantwortlich für starke Frauengeschichten, unter anderem hat sie "Ida" von Pawel Pawlikowski geschrieben und das von Maria Schrader inszenierte #MeToo-Drama "She Said". "Hot Milk" ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Deborah Levy, besetzt mit Vicky Krieps und Emma Mackey.
"Hot Milk" sei eben ein Frauenfilm! Das hat Vicky Krieps bei der Pressekonferenz irritiert geantwortet, als eine Journalistin (!) sich allen Ernstes beschwerte, sie erfahre hier ja gar nichts über die Versehrtheit der Männer. Ein Film von Frauen über Frauen, aber nicht die derzeit recht inflationär beschworenen starken Frauen, sondern fragile Frauen, die aus unterschiedlichen Gründen mit ihrem Schicksal und ihrer Situation hadern.
Eine Rebellion versehrter Frauen
Der Film beginnt als Mutter-Tochter-Geschichte: Mutter Rose (Fiona Shaw) leidet unter einer mysteriösen Lähmung ihrer Beine, sitzt darum im Rollstuhl und nutzt ihre Bedürftigkeit als Druckmittel gegen ihre erwachsene Tochter Sofia (Emma Mackey - bekannt aus "Barbie" und als Femme fatale in der Agatha Christie-Verfilmung "Tod am Nil") - ein ziemlich offensichtlicher Fall von Co-Abhängigkeit.
Die beiden haben sich ein Haus an der spanischen Küste bei Almería gemietet, denn Rose hat eine Hypothek auf ihr Haus aufgenommen für einen letzten Therapieversuch in der sehr teuren Klinik eines Mannes, bei dem nicht ganz klar ist, ob er ein einfühlsamer Therapeut oder ein Quacksalber-Guru ist, der Leidenden mit falschen Versprechungen Geld aus der Tasche zieht.
Einfache Sätze sezieren die Seele
Bekannt geworden ist Rebecca Lenkiewicz mit Drehbüchern über widerständige Frauen. Kein Wunder also, dass die Produzentin Christine Langan, ebenfalls auf intensive Geschichten aus weiblicher Perspektive spezialisiert ("Fish Tank" von Andrea Arnold, "Philomena" von Stephen Frears) sie mit der Adaption von Deborah Levys Roman beauftragt hat. Das allerdings wollte Lenkiewicz nur unter der Bedingung tun, auch Regie führen zu dürfen. Sie hatte Lust, Strand- und Liebesszenen mal anders, nicht vom männlichen Blick definiert zu zeigen, eher amazonenhaft, roh und chaotisch. Dabei schlägt auch hier ihre Stärke als Drehbuchautorin durch: Im Grunde schneiden ganz einfache Sätze wie scharfe Messer in die Seele und legen das Innerste der Frauen bloß.
Vergiftete Ferien in brütender Hitze
Anfangs sieht man Sofia immer wieder dabei, wie sie sich außer Reichweite ihrer aus der Ferne rufenden Mutter zurückzieht, irgendwo am Boden kauernd, allein eine Zigarette raucht. Ihre Fürsorglichkeit ist mit latentem Unwillen unterfüttert, spürbar beginnt sie sich gegen die Vereinnahmung aufzulehnen. Dieses Schwanken zwischen Pflichtbewusstsein, Fürsorge, Genervtheit und unterschwellig aufkeimendem Widerwillen, fast schon Hass, spielt Emma Mackey in vielen Nuancen. Auch Fiona Shaw lässt diese Mutter in vielen Facetten von Bitterkeit, Gemeinheit und Hilfsbedürftigkeit aufschimmern.
In einer gewissen Ereignislosigkeit in der drückenden Hitze des Sommers beginnt sich das Verhältnis von Mutter und Tochter zu verändern, während aus dem Dach des Hauses ein angeketteter Hund enervierend bellt und im Meer giftige Quallen treiben, deren Berührung einen schmerzhaften Ausschlag hervorruft.
Dunkle Untertöne einer freiheitsliebenden Hippie-Fee
Weiter zugespitzt wird die volatile Dynamik zwischen Mutter und Tochter durch die Touristin Ingrid, die am Strand auf einem Pferd in den Film reitet. Die deutsch-luxemburgische Schauspielerin Vicky Krieps spielt sie als junge, freiheitsliebende Hippie-Fee, in deren Gegenwart sofort die Sonne aufgeht - es allerdings umgekehrt auch augenblicklich kühl wird, wenn sie ihre Aufmerksamkeit abwendet. Aber auch die scheinbar so flirrende, sorglose Ingrid hat ein dunkles Geheimnis, wird dadurch in gewisser Weise zum Spiegelbild der Mutter.
Zwischen Sofia und Ingrid knistert es sofort, eine willkommene Ablenkung für Sofia - sehr zum Missfallen der eifersüchtigen Mutter. So entspinnt sich aus der toxischen Gemengelage ein dichtes Netz von Abhängigkeiten und Manipulationsversuchen, an deren Ende eine finstere Zerreißprobe steht.
Anke Sterneborg, radio3