Berlinale | Wettbewerb - "Dreams"
"Dreams" ist der neue Film des mexikanischen Filmregisseurs Michel Franco, ein Festival-Liebling in Cannes und Venedig, auch auf der Berlinale war er bereits zu Gast - 2015 noch im Panorama, dieses Jahr zum ersten Mal im Wettbewerb. Nach "Memory" (2023) arbeitet er in "Dreams" schon zum zweiten Mal mit Oscarpreisträgerin Jessica Chastain zusammen, neben ihr der mexikanische Tanzstar Isaac Hernández.
Die Träume des Films sind vielfältig, es beginnt ganz allgemein mit dem Traum von einem besseren Leben in Amerika. Die Filmtitel liegen bildfüllend auf einem am Straßenrand geparkten Großlaster, die Kamera fährt näher hin und es sind aus dem Inneren laute Hilferufe zu hören.
Von Mexico-City nach San Francisco
Augenblicklich denkt man an die furchtbaren Tragödien mit erstickten, verdursteten Geflüchteten. Dazu kommt es glücklicherweise nicht - das ist die erste von vielen Wendungen in diesem Film, in dem die Zuschauer immer wieder gezwungen sind, nachzujustieren. Die vielen Menschen im Laster werden am nächsten Morgen befreit, die Kamera folgt einem jungen Mexikaner, der sich dann in mehreren Etappen - zu Fuß und per Anhalter - nach San Francisco durchschlägt, wo er eine deutlich ältere Amerikanerin Jennifer (Jessica Chastain) besucht, die erst mal überrascht ist, ihm dann aber doch freudig in die Arme fällt. Nach und nach wird klar, dass die beiden sich aus Mexico-City kennen, wo sie als Kunst-Mäzenin mit dem Geld ihrer reichen Familie sein Tanzprojekt unterstützt. Alles ganz wunderbar - doch dann beginnt Fernando zu realisieren, dass sie ihn vor ihrer Familie versteckt, nicht zu ihm steht.
Amour Fou mit politischem Zündstoff
Als Mexikaner, der in beiden Ländern Filme dreht, hat Michel Franco eine besondere Sensibilität für die Missverhältnisse, für das Machtgefälle zwischen der herrschenden Klasse der weißen Amerikaner und den mexikanischen Underdogs. Von solchen Machtdynamiken hat er schon öfter erzählt, etwa in "New Order" (2020) über eine Gruppe Revolutionäre, die als Kidnapper eine Luxus-Hochzeit crashen und die Gäste kidnappen.
Durch Trumps drastische Abschiebe-Politik hat der Film jetzt zusätzliche Brisanz. Allerdings geht es Franco darum, die Grenzen von Gut und Böse aufzuweichen, er will vor allem Fragen stellen, wie ein fairer Umgang miteinander gelingen könnte, Gedanken anregen, was man tun könnte. So spiegelt sich in der intimen Liebesgeschichte das Verhältnis der beiden Länder, die sich gegenseitig brauchen, Erwartungen aneinander haben: Bei der Pressekonferenz hat er aber auch gesagt, dass er an den amerikanischen Traum nicht mehr glauben kann und auch bei Jessica Chastain schwang eine gewisse Resignation mit, aber doch verbunden mit dem Willen, nicht aufzugeben, etwa, indem sie solche Filme als Produzentin und Schauspielerin ermöglicht.
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Die Oscarpreisträgerin und der gefeierte Ballettstar
Der Clou des Films ist, dass die Rolle des jungen Mexikaners kein Schauspieler übernommen hat, sondern der in Mexiko sehr bekannte Balletttänzer Isaac Hernández. Ergeben hat sich diese Besetzung, weil Michel Franco ihn bei einer Aufführung vor Riesenpublikum gesehen und danach entschieden hat, ihm die Filmfigur auf den Leib zu schreiben. So entfalten sich die Liebeszenen geradezu choreografisch und tänzerisch fließend. Das trägt allerdings auch dazu bei, dass der ganze Film immer wieder ein bisschen zu glatt, zu perfekt, zu luxuriös wirkt, was zugleich der realitätsfern abgehobenen Lebensweise der Superreichen entspricht - mit Jessica Chastains ständig wechselnden erlesenen Kostümen und Handtaschen, perfekten Frisuren und makellosem Make-up, dazu mondän designte, aber immer auch ein bisschen sterilen Appartements, Restaurants und Hotels.
Indem Franco den jungen Mexikaner zum gefeierten Tänzer macht, widersetzt er sich aber auch den gängigen Klischees. Fernando ist eben nicht der arme Schlucker, der illegal im Motel jobbt und nichts als seine Jugend besitzt, sondern ein herausragender Tänzer, der bewundert und umworben wird, Stolz und Würde hat, wodurch das Verhältnis der beiden komplizierter wird. Sein Tanz ist auch ein darstellerisches Mittel, mit dem er neben der Oscarpreisträgerin Jessica Chastain bestehen kann. So entwickelt sich ein harter, manipulativer Machtkampf zwischen den beiden, der auf ein herzzerreißend wuchtiges Finale zuläuft, das wie ein Schlag in die Magengrube wirkt. Ein Ende, in dem es nur Verlierer gibt.
Anke Sterneborg, radio3