Drama - "Mit der Faust in die Welt schlagen"
Zwei Brüder in der ostdeutschen Provinz: Während sich ihre Eltern mit den Folgen der Wendezeit herumschlagen, geraten Tobi und Phillip in den Dunstkreis der rechten Szene. Eine gelungene Romanverfilmung mit einem starken Laien-Cast.
Eine Bushaltestelle, ein paar Industrieruinen aus DDR-Zeiten und am Ortsrand neugebaute Einfamilienhäuser - viel ist nicht los in Bleschwitz. In dem fiktiven Ort in der Oberlausitz - irgendwo zwischen Görlitz, Bautzen und Hoyerswerda - wachsen die Brüder Philipp (Anton Franke) und Tobi (Camille Moltzen) auf. Trotz der provinziellen Langeweile ist es eine behütete Kindheit: Die Natur rund ums Dorf ist ein großer Abenteuerspielplatz, im Sommer lädt eine nahegelegene Kiesgrube zum Baden ein und am Wochenende versammelt sich die ganze Familie mit Oma und Opa zum Kaffeetrinken im Garten.
Risse im Idyll
Doch bald schon zeigen sich erste Risse im familiären Idyll. Vater Stefan (Christian Näthe) findet in seinem Job als Elektroinstallateur kaum noch Arbeit, Mutter Sabine (Anja Schneider) schiebt Nachtschicht im Krankenhaus und ist tagsüber nur selten für ihre Söhne greifbar. Und dann ist da ja noch das Haus, das sich die Familie als Versprechen für eine bessere Zukunft gebaut hat und das einfach nicht fertig werden will. Je mehr sich die Erwachsenen mit sich selbst und ihren Problemen beschäftigen, desto geringer wird der Halt, den sie ihren Kindern geben können. Solange, bis die sich ein neues Umfeld suchen ...
Hoffnung auf eine bessere Zukunft
"Mit der Faust in die Welt schlagen" – so hieß der Debütroman des Görlitzer Autors Lukas Rietzschel. Darin erzählt er, wie junge Menschen aus einem Gefühl der Vernachlässigung und aus Mangel an Perspektiven langsam in die rechte Szene abgleiten. Das Buch stand lange auf der Spiegel-Bestsellerliste, wurde 2022 mit dem Sächsischen Literaturpreis ausgezeichnet und ist bis heute Pflichtlektüre an vielen Schulen.

Eine Verfilmung mit Fingerspitzengefühl
Die Berliner Regisseurin Constanze Klaue hat den Roman nun verfilmt – mit viel Fingerspitzengefühl und einem guten Gespür für das richtige Timing. Dabei wird die Geschichte konsequent aus der Sicht der beiden Jungs erzählt. Der Vater hat seinen Job verloren und verbringt auf einmal viel Zeit in seiner Garage, wo immer irgendwo eine Schnapsflasche versteckt ist? Die Eltern streiten sich permanent und kommen nicht mal mehr an Heiligabend zur Ruhe? Die Polizei kommt in die Klasse und befragt Phillip wegen einer Hakenkreuz-Schmiererei auf dem Schulhof? Beiläufig streift die Kamera über die Szenerie. Das wirkt mitunter fast schon zu gemächlich, doch in dem unterschwelligen Erzählduktus liegt auch eine große Kraft.

Ungleiches Brüderpaar
Dazu passt das authentische, angenehm zurückhaltende Spiel der Darsteller, von denen viele das erste Mal vor der Kamera stehen. Vor allem Anton Franke und Camille Moltzen überzeugen als ungleiches Brüderpaar, das auf ganz unterschiedliche Weise auf die fehlende Wertschätzung durch ihre Eltern reagiert. Christian Näthe und Anja Schneider schaut man ebenfalls gerne zu, auch wenn sie mit zunehmender Dauer des Films immer weiter weg vom Zentrum des Geschehens agieren.
Emotionale Verwahrlosung
"Mit der Faust in die Welt schlagen" ist ein Film über das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, über Vernachlässigung und die emotionale Verwahrlosung, die daraus resultiert. Vor allem aber ist es ein Film, der gängige Klischees über den Rechtsruck im Osten Deutschlands auf den Prüfstand stellt. Wer den Eltern keine Chance gibt, so könnte man die Botschaft zusammenfassen, verrät die Kinder gleich mit.
Carsten Beyer, radio3