Filmdrama - "The End we start from"
Diese Woche startet bei uns ein Film mit dem schönen und rätselhaften Titel "The End we start from". Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Megan Hunter erzählt Mahalia Belo darin von einem jungen Paar, das kurz nach der Geburt ihres kleinen Sohnes gezwungen ist, aus der überschwemmten Heimatstadt London aufs Land zu fliehen. Hier die intime Geschichte junger Eltern, dort eine Naturkatastrophe - das sind die größtmöglichen Gegensätze.
Während sich die Badewanne langsam mit wohltuend warmem Wasser füllt, regnet es draußen - zunächst tröpfelnd, dann zunehmend stärker, in Strömen, in Fluten, bis das Wasser durch die Türritzen in die ebenerdig gelegene Wohnung zu laufen beginnt. Doch passiert das überhaupt ganz real - oder sind diese Bilder nur Ausdruck einer profunden Destabilisierung? Sind es Indizien einer Naturkatastrophe oder Eindrücke, die nur im Kopf einer Gebärenden stattfinden, die in ihrer Not weder den Vater ihres Kindes, noch Hilfe aus einem Krankenhaus erreichen kann?
Trennung im Getümmel von Flucht und Vertreibung
In ihrem Spielfilmdebüt spielt Mahalia Belo ganz gezielt mit den Unsicherheiten der Wahrnehmung, immer im Ungefähren zwischen subjektiver Empfindung und objektiver Katastrophe, zwischen individuellem Geburtstrauma und universellem Naturphänomen.
Irgendwie schafft es die junge namenlose Frau allein ins Krankenhaus und bringt im Chaos der überfüllten Station ihr Baby zur Welt. Bis der junge Vater, der nur R genannt wird, eintrifft, ist klar: die junge Familie kann nicht mehr in ihre Wohnung zurückkehren. Sie muss sich mit ihrem schutzbedürftigen Neugeborenen ins Massengetümmel stürzen und aus dem Ballungsraum London ins höher gelegene Umland fliehen.
Kurz kommen sie bei seinen Eltern unter, doch als die Vorräte ausgehen, müssen sie weiterziehen und werden bald auseinandergerissen. Die Mutter findet mit dem Neugeborenen Unterschlupf in einer Schutzzone, er wird abgewiesen.
Eher kontemplativ als kämpferisch
Die zerstörten und geplünderten Wohnräume, die Flüchtlingsströme auf überfüllten Straßen, die militärische Überwachung in abgeriegelten Schutzzonen: man kennt diese Bilder aus klassischen Apokalypse-Szenarien in Serien und Filmen.
Während sich die Mutter mit ihrem Baby durchs Land schlägt, begegnet sie Menschen, die mit der Krisensituation ganz unterschiedlich - hoffnungsvoll, resigniert oder verängstigt und panisch - umgehen. In einer Episode muss sie etwa herausfinden, ob sie dem verzweifelten Familienvater, den der hier vor allem als Produzent fungierende Benedict Cumberbatch in einer Cameo-Rolle spielt, vertrauen kann: Ist er ihr Verbündeter oder ihr Gegner?
Doch dieser Film sperrt sich gegen das Drama und die Action, von der solche Szenarien in der Regel leben. Basierend auf der gleichnamigen Romanvorlage von Megan Hunter ist er konsequent aus weiblicher Perspektive erzählt und damit eher kontemplativ als kämpferisch, eher defensiv als angriffslustig, geradezu poetisch in der Art, wie er existenzielle Action genreuntypisch runterfährt und stattdessen mit Träumen und Erinnerungen, mit langen Blicken in Landschaften und Rückblenden arbeitet.
Der Mann, eine Fata Morgana
Und immer wieder sieht die junge Frau, einer Fata Morgana gleich, ihren Mann: in der Menge, auf einer Fotowand mit Vermisstenanzeigen, allein im Meer. Während sie sich nach vorne durchschlägt, taucht sie immer wieder in Erinnerungen an die Anfänge ihrer Liebesgeschichte ab, wie sie sich vor einigen Monaten im Nachtleben kennen gelernt haben. So wie schon in der Badewannenszene am Anfang des Films gehen auch hier wieder Realität und Erinnerung fließend ineinander über, auch die Vergangenheit ist gegenwärtige Realität und die evidente Gegenwart in somnambuler Auflösung begriffen.
Intimes Drama und universelle Klimakrise
Jody Comer wurde bekannt als skrupellose Kampf-Amazone und Extrem-Attentäterin in der vom ZDF ausgestrahlten britischen Serie "Killing Eve". Hier darf sie sehr viel verletzlichere Seiten zeigen, weniger nach außen gewandter Aktionismus, mehr verinnerlichte Gefühle, weniger Selbstsicherheit, mehr Zweifel. Es ist aufregend, ihr dabei zuzuschauen, wie sie dünnhäutig auf die Zumutungen reagiert. Und ohne die Dimensionen der Klimakatastrophe offensiv zu thematisieren, impliziert der Film Fragen, die sich einer jungen Frau, die sich gerade als Mutter neu definieren muss, verschärft stellen.
"The End we start from": Geht es dabei eher darum, die Welt, wie man sie kannte, wiederaufzubauen - oder darum, einen neuen Entwurf zu finden?
Anke Sterneborg, radio3