Oscar-prämiertes Drama - "Für immer hier"
Bei der Oscar-Verleihung Anfang März gewann das brasilianische Drama "Für immer hier" den Oscar als "Bester internationaler Film". Schon letztes Jahr wurde der Film von Regisseur Walter Salles mit dem Drehbuchpreis in Venedig und einem Golden Globe für die Hauptdarstellerin Fernanda Torres ausgezeichnet. Nun kommt er bei uns in die Kinos.
"Für immer hier" spielt in Brasilien zu Beginn der 70er Jahre. Die Militärdiktatur währt schon seit 1964 und ihr dunkler Schatten rückt immer näher, wird auch für bisher verschonte Familien immer bedrohlicher. Sind es zunächst nur ein paar Militärfahrzeuge am Strand, ist es ein paar Tage später eine Verkehrskontrolle, in die die 17-jährige Tochter Vera mit ihren Freunden gerät und die Gewalt der Soldaten am eigenen Leibe zu spüren bekommt. Noch kann sie zurück zu ihrer Familie zu kehren: die ist eine feste Burg und sicherer Ankerpunkt.
Die Militärdiktatur hält Einzug in das Leben der Familie Paiva
Die Familie Paiva: Vater Rubens, Mutter Eunice und ihre fünf Kinder leben in einem schönen Haus am Strand von Rio de Janeiro. Eine Bilderbuchfamilie: weltoffen und gastfreundlich, ein intellektuell anregendes Miteinander in dem jeder ein Ohr und eine Schulter findet, in der viel gelacht wird, in dem die Eltern ihren Kindern mit Liebe und auf Augenhöhe begegnen. Als der Vater eines Tages abgeholt wird aber ändert sich alles. Niemand versteht, warum sie ihn holen, niemand versteht, warum er nicht wiederkommt. Auch Eunice wird wenig später mit einem schwarzen Sack über dem Kopf zum Verhör ins Gefängnis gebracht, darf aber nach einigen Tagen zu ihren Kindern zurückkehren.

Nach dem Verschwinden des Vaters erleben wir das Geschehen aus der Perspektive von Eunice. Auf einmal muss sie mit fremden Männern ihr Zuhause teilen, wird auf Schritt und Tritt beobachtet, die Tage im Dunkel eines Foltergefängnisses, wo Menschen weinen und schreien, niemand weiß, wo er oder sie ist, behält sie für sich. Die Brutalität des Regimes sehen wir nicht, wir spüren es nur. Und das ist schlimm genug.
Eine Mutter im würdevollen Kampf gegen das Regime
Eunice vollbringt nun das Unmögliche, sie macht weiter, sie findet Erklärungen für ihre Kinder mit denen die leben können, lässt ihnen ihre Kindheit, soweit das geht – und nimmt einen stillen und würdevollen Kampf gegen die Diktatur auf. Sie geht auf ihre Art in den Widerstand. Als ein Fotograf für eine Zeitschrift, die über das Verschwinden des Vaters berichtet, ein Foto von Eunice und ihren Kindern machen will, sollen alle traurig gucken. Eunice weigert sich, nein, sie will lächeln.

Wahre Geschichte
Es ist eine wahre Geschichte, die dieser Film erzählt. Aufgeschrieben 2015 von Marcelo Rubens Paiva, dem jüngsten Sohn, der damals 11 Jahre alt war. Es ist eine Hommage an seine Mutter, die eine unfassbar starke Persönlichkeit gewesen sein muss. Zart und zäh, klug und ohne je weinerlich zu sein, findet sie einen Weg aus ihrer hilflosen Wut. Sie beginnt noch einmal zu studieren und wird zu einer politischen Aktivistin, die sich auch für die Rechte Indigener einsetzt. Gespielt wird sie von Fernanda Torres, selbst Schauspielerin und Schriftstellerin, die seit 30 Jahren mit Walter Salles zusammenarbeitet. Torres wird eins mit Eunice Paiva, ficht ihren Kampf noch einmal und macht ihn so heute noch einmal für alle sichtbar.
Der Film teilt sich in die Zeit davor und danach: in die Zeit, in der die Familie zusammen war und die, nachdem der Vater verschwand. Die glückliche Zeit, Bilder auf Super 8, ist geprägt von großer Leichtigkeit: im Meer baden, Ballspielen mit Freunden bis in die Abendstunden, gemeinsame Essen, lachen und diskutieren.
Der brasilianische Regisseur Salles selbst war in den 70er Jahren mit den Kindern der Familie befreundet, liebte das offene Haus ihrer Eltern, Ruben Paivas Verschwinden hat er hautnah miterlebt. Diese Nähe war der Anlass für ihn, den Film zu machen. Die Zeit danach ist dann im Kinoformat 35 Millimeter gedreht. Das erzeugt eine starke Reibung.

Ein Film über eine bewundernswerte Frau
Als Marcello Paiva 2015 die Biografie seiner Mutter schreibt, holt Salles ihn an Bord. Getragen von der Erinnerung des Sohnes und des befreundeten Regisseurs ist ein bemerkenswerter Film entstanden. Unaufgeregt, ohne jedes Drama, und dabei voller Schmerz berührt er in seiner eleganten Zurückhaltung. Ein Film, der eine bewundernswerte Frau zeigt und auch, was es heißt, unschuldig von politischen Ereignissen überrollt zu werden, die das Leben von heute auf morgen für immer verändern.
Christine Deggau, radio3