Auf trockenen Gräsern © eksystent filmverleih
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Filmdrama - "Auf trockenen Gräsern"

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Nuri Bilge Ceylan ist der derzeit wohl bekannteste türkische Autorenfilmer und Stammgast auf den Filmfestspielen in Cannes, wo er 2014 für "Winterschlaf" mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde. In knapp dreißig Jahren hat er nur ein schmales Werk von 9 Spielfilmen angesammelt, sein neuster heißt "Auf trockenen Gräsern". Vor einem Jahr feierte der Film in Cannes Premiere – nun kommt er bei uns in die Kinos.

Nuri Bilge Ceylan ist ein Filmemacher, der sich der Hektik der modernen Zeit konsequent entzieht. Er arbeitet mit langen, ruhigen und aber dennoch komplexen Einstellungen, die Menschen in ihren Lebenszusammenhängen zeigen. Auf diese Weise eröffnet er auch den Zuschauern Räume, in denen sie Entdeckungen machen und Bedeutungen dechiffrieren können. Er drängt nichts auf, legt eher diskret aus.

Zwischen Stadt und Land, Moderne und Tradition

Gut zu beobachten ist das auch am Anfang von "Auf trockenen Gräsern": Es braucht eine Weile, bis man sich orientiert hat, bis man in der Weite der kargen, winterlichen Landschaft Ostanatoliens ein kleines, schwarz gekleidetes Menschlein ausmacht, das durch den knirschenden Schnee stapft.

Scheinbar passiert nicht viel, doch augenblicklich bekommt man ein Gespür für den Lebensraum und was dieser einsam abgelegene Ort für die Menschen bedeutet. Generell geht es in diesem Film weniger um Handlung als um Situationen, aus denen sich viel erschließen lässt über das Leben der Menschen, und über die türkische Gesellschaft zwischen Stadt und Land, zwischen Moderne und Tradition.

Fast in Realzeit

So sammelt der Film Alltagssituationen. Zusammen mit Samet kommt auch der Zuschauer aus der verschneiten Weite der Schneelandschaft im Dorf an, und wird dort nach und nach mit seinem Umfeld vertraut gemacht, mit anderen Dorfbewohnern, mit seinem Arbeitsplatz als Kunstlehrer in der Schule, mit den Kindern, die er am ersten Tag nach den Ferien begrüßt, dem Kollegen Kenan, mit dem er zusammenwohnt.

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Alles wird geduldig beobachtet, immer mit einer gewissen Distanz, Unterhaltungen laufen gefühlt in Originalzeit ab, mit allen Pausen, beispielsweise wenn Samet sich in der Kantine einer anderen Schule in einem der Nachbarorte mit der jungen Lehrerin Nuray trifft. Nichts Weltbewegendes, eine erste scheue Begegnung, eine kleine Verspätung, die Frage, ob Tee oder Kaffee, der Austausch einfacher Informationen, alles in Realzeit, ohne dass mit Schnitten künstlich Tempo gemacht wird.

Das große Ganze der Gesellschaft im Mikrokosmos des Dorfes

Mit 197 Minuten Lauflänge ist "Auf trockenen Gräsern" der bisher längste Film von Nuri Bilge Ceylan. Auf diese ruhige, geduldige Erzählweise muss man sich einlassen, sich umstellen, im Kontrast zur Hektik der meisten Filme, die heute die Kinos dominieren. Aber das heißt keineswegs, dass sich die Alltagsmomente unkontrolliert dokumentarisch ausbreiten. Im Gegenteil: "Auf trockenen Gräsern" ist hochkonzentriert erzählt und genau komponiert, bietet dem Zuschauer aber die Freiheit, sich eigene Wege zu bahnen und eigene Gedanken zu machen.

Fast unmerklich schraubt sich der Film zunehmend tiefer in die Zusammenhänge, verrät immer mehr über diese Menschen, und in diesem Mikrokosmos auch über das Land, die Türkei, beispielsweise wenn sich Samet und Kenan streiten: "Wer, wenn nicht die Lehrer sollten die engstirnigen Gewohnheiten aufbrechen, die überkommenen Traditionen hinterfragen, ein wenig Zivilisiertheit in dieses verdammte Kaff bringen" fordert Samet.

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Verschiedene Versionen der Wahrheit

In letzter Zeit gab es eine ganze Reihe von Schulfilmen, wie "Das Lehrerzimmer" oder zuletzt "Radical" über einen engagierten Lehrer in einer mexikanischen Brennpunktschule. Auch hier gibt es eine Schule, einen engagierten Lehrer und das Drama um eine womöglich ungebührliche Annäherung an eines der Mädchen. Doch Nuri Bilge Ceylan bricht mit allen herkömmlichen Erwartungen, verweigert sich jeder Form von Drama oder Zuspitzung. Einen Moment lang flackert das kurz auf, zerstreut sich aber auch bald wieder. Niemand benennt das Problem, schon der Schulleiter windet sich, um nur ja nichts Konkretes aussprechen zu müssen.

Andere Filme würden daraus ein Rufmord-Drama machen, Täter und Opfer klar positionieren, Schuld und Sühne durchspielen. Hier dagegen bleibt es im Vagen. Jede neue Perspektive verändert das Gesamtbild, man rätselt mit, sucht Indizien für die eine oder die andere Version der Wahrheit, die einen Moment aufscheint, sich dann aber wieder zerstreut, so wie sich Moleküle anlagern, dann aber wieder weitergespült werden.

Verborgene Strategien entschlüsseln

Genauso ist das auch mit der Liebesgeschichte, in der die beiden Lehrer um die junge Kollegin Nuray konkurrieren, die in einem Terroranschlag ein Bein verloren hat, auch das ein Anzeichen für die vielen Geschichten die in diesem Film mitschwingen, ohne durchbuchstabiert zu werden. Für Nuray beginnt sich Samet im Grunde erst zu interessieren, als Kenan ihr Avancen macht.

All das kann man als Zuschauer entdecken, ohne zu einer Lösung oder auch nur einer Interpretation gegängelt zu werden, vielmehr kann man sich selber auf die Suche nach der Wahrheit machen, kleine Veränderungen und verborgene Strategien entschlüsseln: So wird dieser Film auch ganz ohne forciertes Drama spannend, während zugleich unterschwellig viel miterzählt wird über die türkische Gesellschaft, über den Kontrast von Stadt und Land, der ja immer ein großes Thema von Nuri Bilge Ceylan war, schon weil er selber zwischen beiden Orten aufgewachsen ist, mal da, mal dort gelebt hat.

Anke Sterneborg, radio3

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