Peter Handke: Die Ballade des letzten Gastes © Suhrkamp
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Erzählung - Peter Handke: "Die Ballade des letzten Gastes"

Bewertung:

Peter Handke hatte immer schon ein großes Talent, sich mit umstrittenen Äußerungen ins politische Abseits zu manövrieren. Als er 2019 den Literaturnobelpreis erhielt, war die Empörung groß. Vorgeworfen wurde ihm, während der jugoslawischen Bürgerkriege für die serbische Seite Partei ergriffen und Diktator Milošević gehuldigt zu haben. Zuletzt ist es ruhig geworden um den österreichischen Autor, der seit vielen Jahren in Chaville bei Paris lebt. Er hat literarische Miniaturen veröffentlicht, "Mein Tag in einem anderen Land" beschrieben, ein "Zwiegespräch" mit sich selbst geführt. Jetzt erscheint sein neues Buch: "Die Ballade des letzten Gastes".

Im strengen Sinne ist es natürlich keine Ballade, kein minutiös durchgearbeitetes Langgedicht mit Versen, Strophen, Reimen, Metrum. Aber Handke spielt virtuos mit den Möglichkeiten literarischer Verwandlung, lässt Elemente der alten Troubadour-Balladen und des romantischen Tanzliedes aufblitzen, vermischt antike, mittelalterliche und zeitgenössische Stoffe, beschwört Naturgewalten, Fabelwesen und Fantasiewelten, Untergang und Tod, spricht in verschiedenen Rollen und mit unterschiedlichen Stimmen.

Wir finden in Handkes Prosa-Ballade Anspielungen auf Homer und die Heimkehr des Odysseus nach langer Irrfahrt, jemand wird geplagt von Alpträumen, sieht sich als einen Anderen, erzählt von der Weltflucht aus wechselnden Perspektiven. Wenn eine Stimme fragt: "Wozu?" antwortet eine andere: "Kein wozu." Wenn jemand zu sich sagt: "Ich habe nichts mehr zu suchen daheim, rein gar nichts!", dann entgegnet jemand anderes: "Und gerade das macht dich heiß."

Moderner Odysseus

Der moderne Odysseus heißt Gregor und ist auf einer niemals endenden "Ein-Mann-Expedition". Aber was er sucht und zu finden hofft, das erfahren wir nie.

Gelegentlich kehrt in seine Heimat zurück, wandert durchs Land, schläft im dunklen Wäldern und schwimmt in verwunschenen Teichen, fährt ziellos mit dem Bus durch die Gegend und vertrödelt seine Tage im Kino oder auf dem Fußballplatz. Wir kennen die Schauplätze aus früheren Büchern des passionierten Wanderers, auch die Obstgärten und Apfelbäume haben wir schon oft mit Handke besucht: Doch jetzt ist Gregor entsetzt über den Zustand der Natur. Im Wald krakeelen Jugendliche, der familiäre Obstgarten ist von Straßen und Industrieansiedlungen umzingelt, so dass Gregor zu Axt und Säge greift und das marode Paradies kurzerhand vollends zerstört. Das vormalige "Vieldörferland" seiner Kindheit hat sich inzwischen in eine städtische "Agglomeration" verwandelt, das einst Vertraute ist ihm fremd geworden.

Gregor fühlt sich wie Odysseus, der bei der Rückkehr erst nur von seinem alten Hund erkannt und beschnuppert wird, so wie Gregor, der am Busbahnhof nur von einem herrenlosen Hund neugierig begrüßt wird. Gegenwart und Vergangenheit, Erlebtes und Erinnertes überlappen sich, Filmszenen und Schlagermelodien kreiseln in Gregors Kopf: Dass ausgerechnet er, der niemals eine Familie gründen wird, Taufpate des Kindes werden soll, das seine Schwester ihm stolz präsentiert, als er zuhause ankommt, verursacht bei ihm Fluchttendenzen.

Eine Zukunft gibt es nicht

Gregor wird von seinen inneren Stimmen umzingelt, sieht sich "als der letzte Gast an einem wackligen Tisch" sitzen: "Der letzte Gast" zu sein wird zur Obsession, er genießt es, mit dem Wirt einen letzten Trunk zu nehmen, das Erzählen hinauszuschieben, wie Scheherazade, die Heimkehr zu vertagen, wie Odysseus: "Letzte Gäste", sagt er, sind "unsere Zukunftsaussicht."

Aber eine Zukunft gibt es nicht für Gregor. Mit dem Ruhe- und Heimatlosen wird die männliche Linie der Familie aussterben, auch sein jüngerer Bruder, Hans, wird seinen Traum von Ehe und Eigenheim nicht verwirklichen: Per SMS bekommt Gregor die Nachricht, dass Hans, der Luftikus und Hallodri, den es aus einer Laune heraus in die Fremdenlegion gezogen hat, in irgendeinem fernen Krieg gestorben ist. Gregor weiß nicht, wie er der Familie diese schreckliche Wahrheit beichten soll, er wird es hinauszögern, lange Zeit der "letzte Gast" im Wirtshaus sein und nicht heimkehren.

Der politisch umstrittene und "unkorrekte" Handke kommt auf Um- und Abwegen zum Vorschein

Der politisch umstrittene und "unkorrekte" Handke kommt auf Um- und Abwegen zum Vorschein, und nur, wenn man die eine oder andere Erzählstimme als Meinung des Autors verstehen will. Als Wanderer ist er angewidert vom Zustand der Wälder, spricht vom "Krieg" gegen "Mutter Natur". Die Schimpfwörter ("Nichtsnutz", "Furzkaspar", "Mundräuber"), die er seinem Taufkind an den Kopf wirft, sind nichts für empfindliche Eltern. Im Kino wettert er gegen läppische Blödeleien und erotisches Gestöhne auf der Leinwand: "Nie wieder Kino. Schluss mit den Filmen als Zuschauerrechtsverletzungen. Nieder mit der Demokratie, weg mit all den Alles-geht-Demokratien. Her mit einer Diktatur, einer neuen, einer, die verbietet, was verboten gehört."

Starker Tobak, aber nicht wirklich ernst gemeint, mehr der Hilferuf eines an der Moderne verzweifelnden Mannes, der in der Erinnerung lebt und die Ballade vom Schulkind singt, das "trödelnd auf dem Heimweg, im Gehen den Schulbeutel von der einen auf die beiden Schultern wechselte."

Lange her, doch von Handke aufbewahrt und besungen in seiner Ballade vom letzten Gast.

Frank Dietschreit, rbbKultur