Michel Friedman: Schlaraffenland abgebrannt © Berlin Verlag
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Von der Angst vor einer neuen Zeit - Michel Friedman: "Schlaraffenland abgebrannt"

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Mit seinem Buch "Fremd" hat der Rechtsanwalt, Publizist und Moderator Michel Friedman vor einem Jahr ein überaus persönliches Buch vorgelegt, das zum Bestseller wurde. Mit seinem neuen Buch "Schlaraffenland abgebrannt. Von der Angst vor einer neuen Zeit" nimmt Friedman den Zustand unserer Gesellschaft ins Visier.

"Schlaraffenland abgebrannt" ist ein persönliches und zugleich gesellschaftskritisches Buch, das vor allem Fragen stellt, viele drängende Fragen, die in Deutschland viel zu wenig diskutiert werden:

"Wer hat in den letzten 20,30 Jahren wirklich intensiv verhandelt, auch mit jungen Menschen? Auch junge Menschen untereinander? Was verstehen wir unter Demokratie? Was verstehen wir unter der Würde des Menschen, die unantastbar ist? Was verstehen wir unter einer sozialen, gerechten Gesellschaft? Was verstehen wir überhaupt unter Freiheit?"

Friedman stellt viele Fragen

Michel Friedman fordert jede Leserin, jeden Leser dazu heraus, selbst nach Antworten zu suchen. Wie ein Schatten steht ein großes Fragezeichen hinter dem schwarz-rot-goldenen Titel auf dem Buchcover - das ist Programm: Auf manchen Seiten im Buch überwiegen Fragen die Aussagesätze.

"Was ist das Gegenteil von Hass?", fragt Friedmann. "Wie kann man diesem irrationalen Gefühl in einem demokratischen Diskurs, der immer auf Rationalität beruht, etwas entgegensetzen? Führt Kränkung zu Hass?"

Strukturelle Brände in Schlaraffenland

Friedman bietet aber auch Antworten an, nicht nur eigene – so zitiert er den Friedensnobelpreisträger und Holocaust-Überlebenden Eli Wiesel, der einmal geschrieben hat, das Gegenteil von Liebe sei nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit, Hass, Egoismus treiben Friedman um; mehr noch, sagt er im direkten Gespräch: die Stagnation in Deutschland würde ihn regelrecht ersticken:

"Ich bin, wenn ich eine Tagesanalyse machen würde, auch nicht der Meinung, dass Schlaraffenland Deutschland abgebrannt ist. Wobei man sagen muss, dass 20,25 Prozent unserer Bevölkerung noch nicht mal am Voreingang eines Schlaraffenlands leben. Aber dass die überwältigende Mehrheit Schlaraffenländler sind. Schlaraffenland bedeutet eine ökonomische Kernorientierung, auch als Kernwert der Identität, in einer Demokratie lebend. Aber, dass es im Schlaraffenland schon einige Brände gibt, die schon auch strukturelle Brände sind. Ob man die Frage der Schulbildung und der Schulgerechtigkeit nimmt. Die soziale Gerechtigkeit beginnt in der Schule. Das war das ganz große Versprechen auch dieses Landes, eine Demokratie, dass Kinder unabhängig ihrer Herkunft die gleichen Bildungschancen bekommen. Dieses Versprechen wird gebrochen seit Jahrzehnten, 30 Jahre reden wir über dasselbe, nichts ist besser geworden."

Fehlerkultur in der Gesamtgesellschaft

Armut, Flucht, Klima, Krieg und Rechtsextreme – Michel Friedman beruft sich immer wieder auf Studien zur Lage der Nation. Seinem Vorwurf, die europäischen Demokratien hätten die Zeichen der Zeit zu lange ignoriert, kann man kaum widersprechen. Seine Kritik an einer Konsumkultur, in der Menschen dummerweise glauben, sich Glück kau fen zu können, ist analytischer als mancher Appell linker Aktivist:innen nach Umverteilung und Enteignungen.

Eigentümlich unkonkret bleibt Friedmans Wunsch nach einer neuen Streitkultur: Nicht zufällig werden die Parteien der Ampelkoaltion "die drei von der Zankstelle" genannt; darauf geht Friedman in seinem Buch nicht ein. Gezankt wird ständig, aber wird auch richtig gestritten?

"Fehlerkultur in unserer Gesamtgesellschaft. Den Menschen, allen, es leichter zu machen, ob in Betrieb wie als Journalisten und Journalistinnen, auch in der Familie zu sagen ich habe Mist gebaut und keine Angst davor zu haben, das ist die Voraussetzung auch von Freiheit."

Plädoyer für "skeptischen Optimismus"

Wer Michel Friedman nach seiner eigenen Fehlerkultur fragt, nach seinem Umgang mit dem Skandal um Drogen und Zwangsprostituierte von vor 20 Jahren, erlebt einen Menschen, der völlig mit sich im Reinen ist. Und nicht zuletzt in dieser Freiheit vor Verhärtungen in der Gesellschaft warnt und – tatsächlich – für Barmherzigkeit plädiert.

Es gibt in diesem Buch einen entwaffnenden Ratschlag für eine neue Streitkultur: "mehr Sehnsucht zu haben, dass das Argument des anderen wirksamer ist als das eigene; aber auch Dissonanzen ertragen".

Daraus könnte ein neues Handeln entstehen. Michel Friedmans Plädoyer für "skeptischen Optimismus" ist keine Augenwischerei. Eher ein Weckruf, bevor alles zu spät ist.

Natascha Freundel, rbbKultur