Florian Illies: Zauber der Stille © S. Fischer
S. Fischer
Bild: S. Fischer Download (mp3, 8 MB)

Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten - Florian Illies: "Zauber der Stille"

Bewertung:

Florian Illies war Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und Geschäftsführer des Rowohlt Verlages. Er leitete das Auktionshaus Grisebach und ist jetzt Mitherausgeber der ZEIT. Über die "Generation Golf" hat er geschrieben, mit seinen Büchern "1913: Der Sommer des Jahrhunderts" und "Liebe in Zeiten des Hasses" hat er das Genre des historische Epochenporträts neu definiert. Heute erscheint sein neues Buch: "Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten".

Der 250. Geburtstag des bedeutendsten deutschen Malers des 19. Jahrhunderts steht vor der Tür: 2024 wird es ein Feuerwerk an Ausstellungen geben, um Leben und Werk des Romantikers Caspar David Friedrich zu feiern. Im Dresdner Albertinum werden Werke gezeigt, die Friedrich in den 40 Jahren, die er in der Elbmetropole lebte, schuf. In der Hamburger Kunsthalle wird er als Maler der Melancholie und Sehnsucht ausgestellt, der Mensch und Natur in ein neues Verhältnis brachte. In der Berliner Alten Nationalgalerie wird die Wiederentdeckung des Malers nachgezeichnet, der nach seinem Tod 1840 in Vergessenheit geraten, bis er in der legendären "Deutschen Jahrhundertausstellung" von 1906 reanimiert wurde.

Neuvermessung des Malers Caspar David Friedrich

Wenn Florian Illies kurz vor dem "Friedrich-Hype" Leben und Werk des Malers neu vermisst, setzt er damit eine Duftmarke und gibt den Debatten, die sich in den nächsten Monaten um Bedeutung, Aktualität und Zeitlosigkeit Friedrich entzünden werden, eine Richtung. Und wer wäre als Stichwortgeber besser geeignet als jemand, der Kunsthistoriker und Schriftsteller, Journalist, Buchverleger und Zeitschriftengründer ist: ein enzyklopädisch Gelehrter, der sich am wohlsten zwischen den Stühlen fühlt, ein Hans Dampf in allen intellektuellen Gassen, den man kaum je fassen kann?

Verkapptes Selbstporträt

Der umtriebige Autor hat ein mehrfaches Interesse am Maler der Seelenlandschaften und der deutschen Innerlichkeit, der unstillbaren Sehnsucht und der leidenschaftlichen Einbildungskraft, die Berge versetzen und Träume wahr werden lassen kann. Illies sieht sich als Bruder im Geiste des träumerischen Geschöpfes, dessen wahres Wesen wir nicht kennen, als Wahlverwandten des kauzigen und heimatlosen Künstlers, der in einem Fürstentum zwischen Himmel und Erde wohnt, auch in Dresden am geliebten Mecklenburgischen Platt seiner verlorenen Jugend festhält, der nirgendwo dazugehört und immer schon woanders ist und etwas Neues anfängt, wenn man glaubt, ihn verstanden zu haben und dingest machen zu können.

Das Buch über Friedrich ist ein verkapptes Selbstporträt von Illies, ein Plädoyer gegen starres Schubladendenken und für künstlerische Vielfalt, ein Versuch, Friedrich aus den Klauen der Kunsttheorie und politischen Inanspruchnahme zu befreien: "Es ist vielleicht das kostbarste Gut der schönsten Gemälde Friedrichs, dass sie keine Antworten geben und nur Fragen stellen."

Ikonische Bilder, zigfach beschrieben - doch Illies sieht sie ganz neu

Illies folgt keiner Chronologie, erzählt nicht Leben und Werk als Abfolge von Ereignissen und Bildern, sondern vermischt seine journalistischen Recherchen mit dokumentarischen Fundstücken und mit eigenen Bildinterpretationen. Er greift wissenschaftliche Zitate und historische Fakten auf und lässt seine literarische Fantasie spielen, wenn es Leerstellen gibt. So entsteht eine Collage aus biografischen Splittern, künstlerischen Deutungen, historischen Exkursen, politischen Annäherungen, die uns Anregungen vermitteln, aber keinen Anspruch auf das letzte Wort haben wollen.

Weil Friedrich ein Virtuose der natürlichen Elemente ist und sie auf die Leinwand bringt, wie keiner vor ihm, greift Illies sich einige der Bilder von Friedrich heraus und beschreibt, was uns die Bilder zeigen und über den Maler verraten könnten sagen. "Das brennende Neubrandenburg", "Das Eismeer", "Kreidefelsen auf Rügen", "Der Wanderer über dem Nebelmeer": ikonische Bilder, zigfach beschrieben, doch Illies sieht sie ganz neu, vermittelt zwischen biografischen Elementen und malerischem Ausdruck, findet Hinweise auf das traumatische Kindheitserlebnis, als der ältere Bruder beim Versuch, den ins eisige Wasser gefallen kleinen Caspar David zu retten, ertrank; sieht Anzeichen der lebenslangen Sehnsucht nach der verlorenen Heimat, auf die einengende Gottesfurcht und die politische Indifferenz zwischen Aufbruch in die Moderne und deutsch-nationaler Restauration.

Ein unkonventionell gestricktes und beglückend schönes Buch

Illies entwirft das Bild eines Genies, der vieles konnte, nur eines nicht: Menschen malen. Der Grund, warum wir sie auf seinen Bildern meistens von hinten sehen, als schattige, mysteriöse Wesen, die in die Ferne schauen und es uns überlassen zu entscheiden, was sie dort eigentlich sehen. Illies zeigt uns Friedrich als eine Sammler von Eindrücken, die er irgendwann wieder hervorholt, durcheinander wirft und in seine Bilder hinein malt, deshalb zeigen seine Bilder auch nie reale, sondern immer Fantasie-Landschaften, in denen sich die Erinnerungen an Wanderungen durch Harz und Erzgebirge überlappen und das Bild einer idealen Landschaft imaginieren.

Weil er das Talent hatte, es sich mit allen zu verderben, von Wissenschaft und Theorie rein gar nichts hielt, sondern Kunst als Ausdruck innerer Gefühlslandschaften und göttlicher Funken verstand, geriet er schnell außer Mode. Aber Qualität und Genie sind nicht kleinzukriegen, reisen als widerspenstige Flaschenpost durch die Zeiten und kommen noch strahlender und lebendiger wieder zum Vorschein. Auch davon erzählt Illies in seinem unkonventionell gestrickten und beglückend schönen Buch über den "Zauber der Stille".

Frank Dietschreit, rbbKultur