Kleine Reiskunde - Risotto, Sushi, Paella & Co.
Dem Reich der sättigenden Beilagen sind enge Grenzen gezogen. Im Wesentlichen beschränkt sich die kohlenhydratreiche Beikost auf Kartoffeln, Nudeln, Polenta und Brot. Und natürlich auf Reis. Der ernährt einen großen Teil der Menschheit und gilt als besonders bekömmliches Getreide. Thomas Platt über Reis in vielen Varianten.
In Deutschland werden die geschälten und weiß geschliffenen Körner traditionell als sogenannter Reisrand oder Reis-Timbale sowie als Risi Bisi (Reis mit Erbsen) immer noch in Kantinen und Mensen verabreicht (und nach wie vor stur in der Berufsschule erlernt), oft kombiniert mit Ragouts, Fisch oder Huhn. Im Krankenhaus gibt es Suppe mit Reiseinlage. Meist handelt es sich bei diesem heimischen Fudament einer mehr oder minder kohärenten Anordnung von Zutaten um den länglich geformten, geschmacklich relativ eigenschaftslosen Patna-Reis.
In den genannten Institutionen hat auch der Milchreis sich selbst überlebt. Er wird aus dem gleichen runden Korn zubereitet wie das Risotto in Italien und – allerdings mit einer etwas weniger Stärke absondernden Variante – die Paella in Spanien. Auch der Sushi-Reis gehört in diese Kategorie.
Arborio, Nano und Carnaroli
Zumeist wird für ein Risotto die südeuropäische Sorte Arborio verwendet, weil er tüchtig Brühe absorbiert und sich mit Butter und Parmesan zu einer schmelzigen Einheit verbindet. In der Poebene, in der seit Jahrhunderten Reis angebaut wird, ist der ein klein wenig schlankere Vialone Nano beliebt.
In der Hochgastronomie herrscht dagegen Carnaroli vor. Er passt nicht mehr so ganz in die Reihe der handfesten oder rustikalen Rundkornsorten. Gleichwohl kann man auch aus ihm einen gefüllten und panierten Arancino rollen und in siedendem Öl ausbacken. Diese sizilianische Volksspeise gehört zu den wenigen gelungenen Bereitungen, zu denen sich Reis vom Vortag verarbeiten lässt.
Reis aus Fernost
Zusammen mit fernöstlichen Restaurants, ihren Aromen und Rezepten haben sich vor allem die Reissorten Basmati aus Indien, Pakistan, Sri Lanka oder Nepal sowie der thailändische Jasmin-Duftreis bei uns fest etabliert. Deren leicht zu blumigem Ausdruck tendierende Körner bleiben in garem Zustand noch ein bisschen trocken und bilden einen relativ losen Körper auf dem Teller – ganz im Gegensatz zum chinesischen Klebereis (Sticky Rice). Diesen besonderen Langkornreis, der auch mit schwarzer Färbung in der Natur vorkommt, kann man beinahe wie Teig verarbeiten, also mit Füllungen versehen oder mühelos zu Kugeln formen.
Natur-, Parboiled- und Wildreis
Naturreis nennt man den weitgehend ungeschält verbliebenen Reis. Bei ihm wird die Stärke noch vom sogenannten Silberhäutchen umschlossen. Sein kräftiger Getreideton, mitunter sogar ein an Vogelfutter erinnernder Geschmack kann die aromatische Identität eines Gerichtes verschieben. Also Obacht. Inzwischen lassen ihn innovative Köche kurz keimen, bevor sie ihn kochen – oft eine beachtliche Bereicherung, jedoch nicht immer von durchschlagendem Erfolg begleitet.
Der industriell imprägnierte Parboiled Reis drückt einem Gericht ebenfalls seinen Stempel auf, kaum anders als kanadischer Wildreis. Im engeren Sinn handelt es sich bei letzterem jedoch nicht mehr um veritablen Reis, sondern um ein bestimmtes Süßgras. Man kann es mögen lernen.
Unter den aus Reismehl hergestellten Nudeln, die in Suppen und Bowls Verwendung finden, ragt die Marke "Evergrade" (erhältlich in den meisten "Go Asia"-Filialen) hervor. Sie hat einen schönen Biss und bleibt auch dann noch stabil, wenn die erforderliche Kochzeit einmal überschritten werden sollte.
Cheung Fun - zarte chinesische Reismehlrollen
Eine ganz eigentümliche und in jeder Hinsicht besondere chinesische Spezialität heißt "Cheung Fun". Für diese extrem zarten Reismehlrollen aus dem Dampfgarer muss man nicht nach London oder Amsterdam reisen. Es genügt, einmal im Restaurant "Aroma" in der Kantstraße 35 in Berlin-Charlottenburg vorbeizuschauen. Dort gibt es sie gewissermaßen als Krönung der Reisgerichte. Verschiedene Füllungen – zum Beispiel mit Garnelen, gebratenem Schweinebauch oder Rinderhack – geben dem gleichförmig feinen Reisgeschmack einen Fokus und unterstreichen das überragende Mundgefühl. Statt eines Saucenfonds baden die ein wenig durchscheinend-weißlichen Rollen in süßlicher Soyasauce. Feiner geht Reis nicht.
Thomas Platt, radio3