Super-Körner für die gesunde Sommerküche - Unreif, aber gut: Grünkern und Freekeh
Ein Hit für Sommersalate: Zwei Getreidesorten, Dinkel und Hartweizen, werden nach einem uralten Verfahren halbreif geerntet und über Feuer geröstet. Das Ergebnis: Dinkel wird zu Grünkern und der Hartweizen in der Levante-Küche zu Freekeh. Die Körner behalten in beiden Spezialitäten viele ihrer Nährstoffe und bereichern mit ihrem nussigen, leicht rauchigen Geschmack und ihrer bissfesten Konsistenz sommerliche Salate, Gemüsepfannen und Eintöpfe.
Kaum etwas löst in Kita- oder Schulkantinen mehr Enttäuschung aus, als die Ankündigung, es gäbe Grünkernbratlinge. Offensichtlich kommen in solchen Gerichten die Eigenschaften, die Grünkern attraktiv machen könnten– vor allem die körnige Konsistenz – gar nicht zur Geltung. Für Burgerpads, Omelettes und Frikadellen eignen sich ganze Körner viel mehr als Mehl oder Schrot. Und als Alternative zu Vollkornreis düfte Grünkern ohnehin nur punkten.
Dinkel wird in der Regel reif geerntet, damit die Klebeeigenschaft, die erlaubt, daraus Brot zu backen, erhalten bleibt. Wenn er aber vor der Vollreife geerntet wird, enthält er noch zu viel Wasser und muss geröstet werden, um ihn haltbar zu machen. Dadurch verändert sich die Glutenstruktur und der Dinkel kann nur noch als körnige Beilage oder - zu Schrot oder zu feinem Gries gemalen - als Zutat für Suppen, Füllungen und Klöße verwendet werden. Es bleibt allerdings genug Gluten übrig, um Menschen mit Glutenunversträglichkeit Probleme zu bereiten.
Das "grüne Gold" aus Baden
Grünkernrezepte gibt es unzählige in der Region, in der Grünkern Tradition hat: dem sogenannten Bauland im Norden Badens. Hier hat sich die vorzeitige Dinkelernte vor langer Zeit etabliert, ursprünglich als Notlösung bei Schlechtwetterperioden, die drohten, die Ernte zu vernichten. Aus der Erkenntnis, dass die über Buchenholz gerösteten Dinkelkerne nicht nur haltbar, sondern auch noch schmackkhaft sind, hat sich die Tradition entwickelt, einen Teil des Dinkels bereits als grünes Korn zu ernten - in der Regel Mitte oder Ende Juli, 2 bis 3 Wochen vor der Vollreife.
Die erste schriftliche Erwähnung des Grünkerns stammt aus einer Klosterschrift des Jahres 1660 in Süddeutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist dieses Getreide etwas in Vergessenheit geraten. Er stand für Armenküche und war auch noch von der nationalsozialistischen Propaganda vorbelastet: Dinkel war in den 1930er Jahren die "deutsche Suppenfrucht" schlechtin, die als Ersatz für importiertes Getreide aus dem Ausland taugen sollte. In den Jahren des Wirtschaftswunders setzte sich der viel ertragsreichere Weizenanbau durch und die traditionelle Grünkernerstellung blieb erhalten.
Trendzutat der vegetarischen und veganen Küche
Heute ist Grünkern wieder eine beliebte regionale Spezialität und zugleich eines jener Produkte, die von der gesundheitsbewussten Küche als "Superfood" bezeichnet werden - obwohl Grünkern weder teuer noch exotischer Herkunft ist. Halbreife, geröstete Dinkelkörne erhalten tatsächlich mehr Nährstoffe und Mineralien als reif geerntetes Getreide. Zudem enthalten sie viele Ballaststoffe und weisen einen günstigeren glykämischen Index auf - sprich: die enthaltene Kohlenhydrate lassen den Blutzuckerspiegel nur langsam steigen.
Ähnliche Eigenschaften besitzt auch Freekeh, eine uralte Spezialität, die im Mittleren Osten schon seit über 2.000 Jahren bekannt ist. Dafür werden Hartweizenkörner vor der Reife geerntet und geröstet. Wie dieses Verfahren entdeckt wurde, darüber sind verschiedene Erklärungen überliefert. Womöglich handelte es sich um eine Zufallsentdecktung, so wie bei vielen anderen Lebensmitteln, u.a. bei Kaffee oder Bier. Nachdem eine Scheune, in der Hartweizen gelagert war, verbrannt war, entdeckten die Bauern, dass die leicht verkohlten Körner sogar noch besser waren. Aber warum unreifen Weizen ernten? Ein Sultan soll befohlen haben, den Weizen zu beschlagnahmen. Durch das vorzeitige Ernten konnten die Soldaten auf den Feldern nichts finden.
Nussig und rauchig
Wie dem auch sei: Freekeh ist unter verschiedenen Namen seit jeher eine sehr beliebte Zutat aller Küchen, die sich in den Ländern des ehemaligen Osmanischen Reichs entwickelt haben. Die Körner zeichnen sich durch einen nussigen und betont rauchigen Geschmack, nehmen aber Gewürze und Aromen der Gerichte auf, in denen sie verwendet werden. So wie Grünkern eignet sich auch Freekeh für vielfältige Einsatzmöglichkeiten: für Suppen und Eintöpfe, für Sommersalate wie Tabouleh und für Hühnchen-Tajine und ersetzt oft Reis. Zu finden ist Freekeh in orentalischen Lebensmittelläden. Die Zubereitung selbst ähnelt Vollkornreis: Nach dem Waschen kann Freekeh in der dreifachen Menge Wasser (oder Brühe) ca. 40 Minuten gegart werden. Es lohnt sich, einen kleinen Vorrat vorzubereiten. Gegarter Freekeh, so wie auch Grünkern, hält sich für einige Tage im Kühlschrank und lässt sich nach Belieben würzen und mit Nüssen, gebratenen Pilzen, gegrilltem Gemüse und Kräutern vermischen.
Elisabetta Gaddoni, radio3