Treasure - Familie ist ein fremdes Land © Alamode Film
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Tragikomödie - "Treasure - Familie ist ein fremdes Land"

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Familiengeschichten sind en vogue - allein diese Woche startet "Ezra" mit Robert De Niro als Großvater eines autistischen Jungen und auch Tim Burtons "Beetlejuice Beetlejuice" ist im weitesten Sinne eine Familiengeschichte. Vom Genre her reiht sich Julia von Heinz‘ "Treasure - Familie ist ein fremdes Land" nach Lily Bretts autobiografischem Roman "Zu viele Männer" (1999) also ein. Doch ist hier vieles anders ...

In "Treasure" geht es um eine abwesende Familie. Eine Familie, die es nicht mehr gibt. Sie ist in Auschwitz ermordet worden. Allein Edek, heute Ende 60, hat überlebt, wie auch seine Frau, die kürzlich gestorben ist. Gemeinsam sind sie damals ins Exil nach Amerika gegangen, wo ihre Tochter Ruth zur Welt kam. Jetzt schreibt man das Jahr 1991. Ruth ist mittlerweile Anfang 30, Journalistin, lebt noch immer in New York und ist seit ihrer Scheidung Single.

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Auf Spurensuche

Ruth hat entschieden, eine Spurensuche anzutreten, mehr wissen zu wollen über das Land aus dem ihre Eltern kommen, über die Herkunft ihrer Familie. Sie hat ihre Koffer vollgepackt mit Büchern über Polen und den Holocaust, und einen akribischen Plan gemacht, wann sie was anschauen will.

Als ihr Vater von diesen Plänen erfährt, beschließt er ungefragt, seine Tochter zu begleiten. Die beiden haben sich lange schon nicht mehr gesehen und auch nicht das beste Verhältnis zueinander, aber Ruth fügt sich. Was heißt: ihre Reisepläne werden nach und nach auf den Kopf gestellt, ihr Vater übernimmt die Regie.

Für Ruth soll es die Vervollständigung ihrer Biografie sein. Für Edek ist die Reise nach 40 Jahren eine späte Heimkehr.

Ein unlösbarer Konflikt

Edek hat sein Lebtag geschwiegen. Bis heute will er nicht sprechen, kann er nicht weinen. Die Erinnerungen an die Jahre im Ghetto, an das Morden und die Verluste, die er erlebt hat – sie sind unsichtbar und vor allem auch unsagbar. Erst als Ruth ihn überreden kann, ihr sein Elternhaus in Lodz zu zeigen, bewegt sich etwas. Eine fremde Familie wohnt jetzt hier. Nur widerwillig lässt man Ruth und ihren Vater in die Wohnung. Beteuert, sie sei leer gewesen damals, 1940, als man die Wohnung "übernommen" habe. Doch der Vater erkennt das Sofa, das Teeservice seiner Familie. Am nächsten Tag geht Ruth noch einmal ohne ihn in die Wohnung, begleitet von einem Übersetzer. Und kauft für teures Geld das Eigentum ihrer Familie zurück.

Ein unlösbarer Konflikt: die polnische Familie, die heute zwar unter ärmlichsten Bedingungen lebt, damals aber vielleicht zugesehen hat, wie Edeks jüdische Familie enteignet und abgeholt wurde. Und heute das, was diese Familie damals zurücklassen musste, an sie verkauft - das ist bitter in jeder Hinsicht. Es kann keine Auseinandersetzung geben, worüber sollte man streiten?

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Wunschbesetzung der Regisseurin

Stephen Fry und Lena Duncan spielen Vater und Tochter als zwei gebrochene Persönlichkeiten, die nach Erlösung suchen. Die beiden sind großartig. Jeder für sich und beide zusammen. Stephen Fry, dieses britische Multitalent, der hier wie "Falstaff" die Bühne betritt, der selbst eine jüdische Vergangenheit hat. So wie auch die New Yorkerin Lena Dunham: und auch sie ist nicht nur Schauspielerin, sondern auch Regisseurin und Autorin, Erfinderin der HBO-Serie "Girls" – und die Wunschbesetzung der Regisseurin Julia von Heinz.

Die antwortete mit Vorsatz, als sie 2020 beim Filmfest in Venedig zu ihrem nächsten Projekt befragt wurde. Da erzählte sie von "Treasure" und wie sehr sie sich Lena Dunham als weibliche Hauptrolle wünscht. Das Kalkül ging auf: Am nächsten Tag rief Dunhams Agentur an.

Ein schweres Thema leicht erzählt

Seit 2006 macht Julia von Heinz Filme, schreibt Drehbücher und führt Regie. Bekannt wurde sie 2015 als Regisseurin der Hape Kerkeling Bestseller-Verfilmung "Ich bin dann mal weg". Der internationale Durchbruch kam 2020 mit "Und morgen die ganze Welt": die autobiografisch inspirierte Antifa-Geschichte einer jungen Frau - ein Film, mit dem sie nach Venedig zu den Filmfestspielen eingeladen wurde, wo sie dieses Jahr in der Jury saß.

Heute ist Julia von Heinz Professorin an der HFF in München und zeigt in ihren Filmen, wie es geht, schwere Themen leicht zu erzählen. "Treasure" ist da ein herausragendes und sehr berührendes Beispiel.

Christine Deggau, radio3

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