Filmdrama - "Daddio - Eine Nacht in New York"
Bekannt wurde die Drehbuchautorin Christy Hall mit der von ihr entwickelten Netflix-Serie "I am not okay with this" über das Teenagermädchen Sydney, die mit Familie, Schule, Identität und mysteriösen Superkräften ringt. Nachdem dieser Stoff noch die Adaption eines Comics war, hat sie jetzt ein Originaldrehbuch verfilmt, prominent besetzt mit Dakota Johnson und Sean Penn. Sie selber bezeichnet "Daddio – Eine Nacht in New York" als Liebeserklärung an ihre Heimatstadt.
Eine junge Frau und ein Mann, der ihr Vater sein könnte, 95 Minuten lang in Echtzeit in einem Taxi auf dem Weg vom Flughafen JFK nach Midtown New York, ins Viertel Hell’s Kitchen: Es passiert nicht viel in diesem Film und doch verändert sich alles ...
Im Taxi in Echtzeit nach New York
Es beginnt sehr alltäglich damit, dass eine junge Frau (Dakota Johnson) nachts am Flughafen JFK ankommt und sich ein Taxi nimmt. Im Auto entspinnt sich dann ein zunächst oberflächliches Gespräch, von dem nicht klar ist, in welche Richtung es sich entwickeln wird: Nervt der Taxifahrer? Will die junge Frau ihre Ruhe haben? Was könnten sich diese beiden sehr unterschiedlichen Menschen zu sagen haben? Der Fahrer erweist sich als genauer Beobachter, der sich mit detektivischem Spürsinn zusammenreimt, dass sie New Yorkerin ist, weil sie eine Straßenkreuzung als Ziel angegeben und keine Adresse vom Handy abgelesen hat, weil sie die Touristeninformationen auf dem Bildschirm sofort ausgeschaltet hat und nicht auf das Taxameter achtet, weil sie weiß, dass die Fahrt vom Flughafen immer pauschal abgerechnet wird.
Große Wirkung in kleinstem Spielraum
Eine recht junge Frau und ein deutlich älterer Taxifahrer - das könnte leicht bedrohlich oder zumindest anzüglich werden. In den ersten Minuten schwingt diese Möglichkeit durchaus mit. Man spürt, wie sich die beiden gegenseitig taxieren. Die Frau wirkt zunächst reserviert, ein bisschen belustigt auch, während sie parallel mit den recht zudringlichen Handy-Nachrichten ihres Freundes beschäftigt ist.
Schnell wird klar, wie wichtig die Besetzung ist in einem Film, der auf derart begrenztem Raum nur wenig Bewegungsfreiheit für Schauspieler und Kamera bietet. Dakota Johnson und Sean Penn, sonst sehr physisch agierende Schauspieler, die hier gegen den Strich besetzt sind, gelingt es auf wunderbare Weise, nur mit Mimik und Gestik ganze Lebensgeschichten aufscheinen zu lassen. In ihrem nuancierten Spiel sind die Momente des Schweigens oft vielsagender als die tatsächlich gesprochenen Dialoge.
Spannend und visuell abwechslungsreich
Filme auf engstem Raum stellen inzwischen fast ein eigenes Genre - man denke an "Locke", in dem Tom Hardy allein im Auto sitzend enorme Spannung erzeugte, oder "Buried", in dem Ryan Reynolds einen ganzen Film lang in einer Holzkiste unter der Erde eingesperrt war.
Es ist eine sportliche Herausforderung, mit allen Möglichkeiten des filmischen Erzählens auch derart eingeschränkten Raum visuell abwechslungsreich und spannend zu gestalten. Obwohl die Welt nur durch das Autofenster zu sehen ist, gelingt es Christy Hall, den Weg vom Flughafen ins Viertel Hell’s Kitchen sinnlich erfahrbar zu machen. Sie hat mit der Technik gearbeitet, die für die Star Wars-Serie "The Mandalorian" entwickelt wurde: Gedreht wurde im Studio, aber nicht vor einer neutralen Green Screen. Stattdessen werden die vorher gedrehten Bilder der Fahrt ganz unmittelbar auf einer LED-Screen zugespielt. Zusammen mit den Schauspielern erlebt auch der Zuschauer den Weg von den kargen Randbezirken in Flughafennähe ins flackernde Lichtermeer im Bauch der Stadt ganz unmittelbar. Und der große Kameramann Phedon Papamichael sorgt dafür, dass die scheinbar spröden Szenen sinnliche Kraft entwickeln.
Sensible Themen, große Wahrhaftigkeit
Ein Unfall auf dem Weg führt zum Stau und verzögert die Ankunft in Hell’s Kitchen, so dass sich aus dem lockeren Geplänkel zunehmend tiefgründigere und intensive Gespräche entwickeln. Beide geben Dinge preis, die sie wohl nur unter diesen Bedingungen mit einer Zufallsbekanntschaft austauschen, auch im Wissen, dass man sich nie wieder sehen wird. Schnell spürt Karl, der Taxifahrer, ihren wunden Punkt auf: ein Kindheitstrauma, das ihre Beziehungen prägt. Ausgesprochen offen und ehrlich reden die beiden miteinander, auch über sensible Themen wie Beziehungen, Sex und Liebe, falsche Entscheidungen und kardinale Fehler. So wird die Taxifahrt zur Lebensrevision. Es passiert nichts, aber alles verändert sich. So ist der Film auch ein Plädoyer für intensive menschliche Kontakte, die durch die Allgegenwart von Smartphones und sozialen Medien bedroht sind.
Anke Sterneborg, radio3