Das leere Grab © Salzgeber
Salzgeber
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Dokumentation - "Das leere Grab"

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Mindestens 17.000 sogenannte menschliche Überreste aus der Kolonialzeit lagern in deutschen Museen und Sammlungen. Schädel, Gebeine, Knochenfragmente. Die meisten stammen aus Afrika und Ozeanien. Das ergab eine Schätzung der Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialem Kontext. Wie mühselig für die Angehörigen die Suche nach den Gebeinen ihrer Vorfahren ist, zeigt der Dokumentarfilm "Das leere Grab" von Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay.

Das leere Grab befindet sich im Süden von Tansania in der Ortschaft Songea. Es stammt aus der Zeit des Maji-Maji Krieges, als sich zwischen 1905 und 1907 die Bevölkerung gegen die deutsche Kolonialherrschaft auflehnte. In Songea wurden an einem Tag 68 Menschen von den Deutschen gehängt, 67 in einem Sammelgrab beerdigt. Nur der Chief Nduna Songea Mbanu wurde in einem Einzelgrab bestattet. Nach einigen Tagen aber exhumierte jemand im Auftrag der Deutschen die Leiche, trennte den Kopf ab und schickte ihn nach Deutschland.

Die beiden Filmemacherinnen Agnes Lisa Wegner und Ceci Mlay begleiten jetzt die Nachfahren des Toten bei ihrer Suche nach ihrem Ahnen. Und sie fragen in deutschen Museen nach, wie die grausigen Sammlungen zustande kamen.

Ein Name fällt immer wieder beim Besuch im Archäologischen Zentrum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der von Felix von Luschan, ab 1905 Direktor der Afrika und Ozeanien-Abteilung am Berliner Völkerkunde-Museum:

"Felix von Luschan, als Kustos oder Wissenschaftler damals bei den Königlichen Museen, hatte den Zugang zu diesem ganzen kolonialen Netzwerk und darüber auch das Werkzeug and er Hand, weltweit menschliche Überreste zu sammeln. Und man muss auch bedenken: er hatte nicht nur die Sammlung, die wir haben, die S-Sammlung, sondern auch eine Privatsammlung . das sind nochmal 3.500 Schädel. Das heißt, wir sprechen von einer Person von etwa 10.000 Schädeln."

Das leere Grab © Salzgeber
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Mehr als 100 Jahre später ist die Recherche mühselig

In Tansania machen sich der Anwalt John Makarius Mbanu und seine Frau, die Geschichtslehrerin Cecilia Mbello, auf den Weg nach Deutschland, um den Kopf des Chief zu finden.

In Berlin wiederum suchen der Künstler Konradi Kunze und der Aktivist Mboro von Berlin Postkolonial ihrerseits in den Archive nach Spuren, die Hinweise auf die Herkunft der "menschlichen Überreste" in deutschen Museen geben könnten.

Konradin Kunze findet eines Tages einen Brief von Felix von Luschan:

"Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich auf jedes Skelett-Säckchen außer den Nummern noch Folgendes vermerkt: einen großen Buchstaben: M – wie Massai, Geschlecht, Männlich, Weiblich, Alter. Die anderen Buchstaben werde ich bei meiner Anwesenheit deuten können, so dass diese Zeichen auch zur Not genügen mögen."

Und Konradin Kunze entdeckt die Erwähnung von einem anderen Chief, dem Mangi von Meru, dessen Überreste sich allerdings in dem Museum für Natural History in New York befindet. Manchmal ist es in dem Film schwierig den Überblick zu bewahren. Aber die beiden Hauptfiguren John und Cesilia lenken mit ihrer ruhigen Konzentration immer wieder zurück auf die emotionale Ebene.

Das leere Grab © Salzgeber
Bild: Salzgeber

Konfrontation mit der deutschen Vergangenheit

Die Filmemacherinnen Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay pendeln zwischen Tansania und Deutschland und beobachten die Begegnungen. Spannend ist das, wenn Gegenwart und Vergangenheit aufeinander treffen. Katja Keul, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, ist selbst eine Nachfahrin von Carl Peters, dem Begründer der Kolonie Deutsch-Afrika. Als das Ehepaar Mbano nach Berlin kommt, entschuldigt sie sich bei den beiden. Später sieht man wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am leeren Grab in Songea eine Rede hält.

Was aber den Film über die reine Dokumentation hinaushebt, sind die Bilder des Kameramannes Marcus Winterbauer und die Musik von Hannah von Hübbenet, die der ganzen Geschichte eine Würde ohne Pathos verleihen. Einen stärkeren Widerhall als den reinen politischen Aktivismus.

Simone Reber, radio3

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