Saul Friedländer: Israel im Krieg © C.H. Beck
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Ein Tagebuch - Saul Friedländer: "Israel im Krieg"

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Vor einem Jahr, am 7. Oktober 2023, drangen Terroristen der Hamas vom Gaza-Steifen aus in Israel ein, ermordeten über 1.200 Menschen und nahmen mehr als 200 Geiseln. Sie setzten damit eine Spirale der Gewalt in Gang, die bis heute die Region erschüttert und eine Lösung des Palästina-Problems in weite Ferne rückt. Historiker und Holocaust-Forscher Saul Friedländer, der für sein umfangreiches Werk den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt, begann am Tag des Massakers mit einem Tagebuch, um sich Klarheit über die Ereignisse und möglichen Folgen zu verschaffen. "Israel im Krieg. Ein Tagebuch" erscheint am Donnerstag.

Die ersten Wochen nach dem 7. Oktober hat Friedländer Tag für Tag die Ereignisse, so wie sie sich ihm darstellen, gesichtet, bewertet, kommentiert. Er stützt sich dabei auf die Informationen, die er aus Zeitungen bekommt, zitiert die "New York Times" und den "Guardian", beschreibt die grauenhaften Bilder, die um die Welt gehen, notiert, was ihm Freunde und Kollegen aus Israel berichten, die ihn anrufen oder ihm Mails schicken.

Er hat lange Jahre, bis zu seiner Emeritierung, an der Universität von Kalifornien gelehrt und lebt in Los Angeles. Er blickt auf das Massaker und den sich entwickelnden Krieg gegen die Hamas in Gaza gegen die Hisbollah im Libanon als ein1932 in Prag geborener Jude, der nur knapp dem Holocaust entkam, den Staat Israel mit aufbaute, als Historiker an der Universität von Jerusalem lehrte, bevor er in die USA ging und mit "Das Dritte Reich und die Juden" eine kanonische Darstellung des Holocaust verfasste.

Tagtägliche Notizen, um festzuhalten und um zu verstehen

Judenhass und Antisemitismus haben ihn zeitlebens begleitet und beschäftigt, doch was am 7. Oktober und danach geschah, raubt ihm den Schlaf, will von ihm verstanden und festhalten werden, tagtäglich notiert er, was er über das Leid der Opfer und den Kampf um die Befreiung der Geiseln erfährt, wie Israel das Trauma verarbeitet, wie Freunde und Feinde Israels auf den Krieg gegen Hamas und Hisbollah reagieren und wie das andauernde Gemetzel vielleicht beendet werden könnte. Vom 11. Dezember 2023 bis zum 25. März 2024 legt er eine Schreibpause ein, nimmt dann seine Notizen wieder auf, weil ihm die politisch zerrütteten Verhältnisse in Israel und der weltweit zunehmende Antisemitismus keine Ruhe lassen. Am 22. Mai beendet er sein Tagebuch mit dem Satz: "Norwegen, Irland und Spanien erkennen einen palästinensischen Staat an."

Friedländer wiederholt im Tagebuch gebetsmühlenartig, dass die seit Jahrzehnten andauernden Kriege nur mit einer Zwei-Staaten-Lösung befriedet werden können. Einen Staat Palästina könne aber erst nach Verhandlungen geben, nach Vertrauensbeweisen, dem Rückzug der jüdischen Siedler aus den besetzten Gebieten, dem Ausschalten von Hamas und Hisbollah. Das zunächst im Westjordanland angesiedelte Palästina könnte einen mit internationaler Hilfe wieder aufgebauten Gaza zunächst mit verwalten und ihn später in den Staat Palästina überführen.

Natürlich weiß Friedländer, dass das ein schöner Traum bleiben wird, solange in Israel eine Regierung aus rechts-nationalen Kräften besteht, solange von Terroristen, Terrorstaaten und Antisemiten "From the River to the Sea" skandiert wird und Israel von der Landkarte verschwinden soll. Wenn bereits jetzt, während Israel gegen seine Feinde kämpft, die den jüdischen Staat und alle Juden vernichten wollen, einige Länder vorpreschen und einen palästinensischen Staates anerkennen, ist das für Friedländer Ausdruck eines lange nur versteckten und jetzt wieder emporkommenden Antisemitismus, ein ideologischer Irrtum, der politisch kontraproduktiv ist und nur Ministerpräsident Netanjahu in seiner anti-palästinensischen Haltung bestärkt.

Deutliche Kritik an Netanjahu

Netanjahu ist ihm zutiefst suspekt: Er spricht von einer "schrecklichen Regierung", bezeichnet sie als "verachtenswert", "abscheulich", "selbstsüchtig“, zitiert Umfragen, nach denen die Mehrheit der Bevölkerung Netanjahu die Schuld am Desaster gibt und seinen Rücktritt befürwortet. Er verweist auf einen Artikel der "New York Times", in dem Netanjahu als der "schlechteste Regierungschef, den Israel je hatte", bezeichnet wird, "da er um der Aufrechterhaltung seiner rechtsextremen Koalition willen jede Möglichkeit einer Zwei-Staaten-Lösung ablehnt, die nicht nur die Unterstützung der gemäßigten Palästinenser finden, sondern Israel auch die Unterstützung der gemäßigten arabischen Staaten verschaffen würde."

Auch sein Fehler, jahrelang zu glauben, die Hamas in Gaza könne man mit finanziellen Zuwendungen ruhig stellen und als Gegengewicht zur palästinensischen Behörde im Westjordanland aufbauen, habe Israel in die Katastrophe geführt und einen Krieg aufgezwungen, der in "einem dicht besiedelten urbanen Umfeld stattfinden muss, mit unzähligen unschuldigen Opfern."

Am 7. November notiert Friedländer: "Dass Israel einen Feldzug führen muss, dessen Ziel es ist, die Fähigkeit der Hamas zu zerstören, einen Angriff wie den vom 7. Oktober zu wiederholen, ist offensichtlich. Dass der Großteil der öffentlichen Meinung im Westen diese Notwendigkeit willentlich ignoriert und sich gewaltsam gegen Israel wendet, ist schwer zu ertragen. Dass diese Meinung ihren Hass auf Israel mit einem immer deutlicher werdenden Antisemitismus vermengt, ist abscheulich."

Friedländer zieht eine düstere Bilanz - bleibt aber optimistisch

In einem "Epilog", geschrieben am 20. Juni, verweist er auf das Dilemma, in dem Netanjahu steckt, wenn er den Krieg gegen Hamas erst beendet, wenn sie vernichtet ist, er gleichzeitig aber die Geiseln befreien und seinen Job zu behalten will. Netanjahu weiß: Eine Einstellung der Kampfhandlungen würde die "Büchse der Pandora" öffnen, zu einer Debatte über die Verantwortlichen für das Desaster, zu Neuwahlen und seiner Abwahl führen.

Insgesamt eine düstere Bilanz. Aber Friedländer bleibt optimistisch und schreibt: "Das einzige Licht am Ende dieses Tunnels ist die Möglichkeit, einen ziellosen Krieg zu beenden und damit die Geiseln zu retten, die noch gerettet werden können, der Zivilbevölkerung in Gaza Erleichterung zu verschaffen und schlussendlich die Idee eines palästinischen Staates zu akzeptieren."

Klingt gut. Aber angesichts der jüngsten Eskalation durch die Hisbollah und den Raketenbeschuss aus dem Iran wohl doch nur ein frommer Wunsch.

Frank Dietschreit, radio3

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