Biographie - Vanessa Schneider: "Die Geschichte der Maria Schneider"
In ihrer zärtlichen Hommage an die Schauspielerin Maria Schneider erzählt ihre jüngere Cousine sehr viel Familiengeschichte und Zeitgeschichte mit.
Maria Schneider: Sie war die Kindfrau in "Der letzte Tango von Paris", die mit dem superkurzen Minirock und den extremen Sexszenen mit Marlon Brando. Wie muss das gewesen sein für die 19-jährige, im Scheinwerferlicht, vor den Augen der Crew? Die Jungschauspielerin war plötzlich ein Star, es war ein kurzer Skandalerfolg, danach ging es mit ihrer Karriere abwärts.
Ihre Biografie ist das, man als skandalumwittert bezeichnet. Maria Schneider verfing sich in einer toxischen Mischung aus familiärer Haltlosigkeit, dem sexualisierten öffentlichen Hype um ihre Person, und den damals allgegenwärtigen Drogen.
Es war aber nicht nur das Heroin, das sie ihre Filmkarriere kostete: Es war auch die Tatsache, dass man ihr fast ausschließlich Rollen als Sexojekt anbot und andere – wie in dem Film "Beruf: Reporter" kaum wahrgenommen wurden.
Ein öffentlicher Missbrauch
Sieben Jahre nach Maria Schneiders frühen Tod 2011 mit nur 58 Jahren hat ihre Cousine Vanessa Schneider ein Buch über sie veröffentlicht. Noch einmal sieben Jahre hat es gedauert, bis es im Hype um das Thema sexueller Missbrauch in der Filmbranche nun auch auf Deutsch herauskam.
Und da ist Maria Schneider ein interessanter Fall: Der Missbrauch an ihr war öffentlich, ein dramaturgischer Höhepunkt in einem Film, der die sexuelle Befreiung der 1970er Jahre gestalterisch auf die Spitze trieb.
Für mich, wie für viele Frauen meiner Generation, war "Der letzte Tango" ein extrem eindrücklicher Film – weil er Grenzen überschritt, sich etwas traute, Sexualität als Rausch und Destruktion zeigte und überhöhte. Und gleichzeitig bereitete er uns schon damals Unbehagen.
Später – sehr, sehr viel später – machte Maria Schneider ihre Vorwürfe gegen Regisseur Bernardo Bertolucci öffentlich: Die Szene stand nicht im Drehbuch, Brando und Bertolucci überrumpelten sie damit, sie fühlte sich missbraucht und vergewaltigt. Ihre Schreie, ihre Wut, ihre Demütigung waren echt.
Familienwahnsinn
Vanessa Schneider geht in ihrem Buch über ihre 17 Jahre ältere Cousine Maria natürlich auf dieses Ereignis ein – aber sie erzählt, weit darüber hinaus, über die private Maria Schneider, und sie tut es mit großer Zuneigung, zärtlich und verständnisvoll. Die beiden gehörten derselben ziemlich dysfunktionalen Schneider-Sippe an, die den Wahnsinn der 1970er Jahre mit ihren revolutionären Aufbrüchen, ihren Drogen und ihrer Libertinage in mehreren traurigen Gestalten verkörperten.
Vanessa Schneider war die Tochter linker Hippies, Maria die Tochter einer ablehnenden Mutter und des Schauspielers Daniel Gélin, der damals in Frankreich ein Star war. Er war es, der seine 17-jährige Tochter in das Nachtleben und die Filmwelt von Paris einführte, ihre kindliche Schönheit herumzeigte wie ein Trophäe – nachdem er all die Jahre zuvor nichts mit ihr zu gehabt hatte.
Das Buch ist sowohl eine Hommage an Maria Schneider, als auch eine Familienerzählung und ein Who's who der Pariser Schickeria und Boheme der 1970er und 80er. Es folgt den Recherchen, Erinnerungen, Erkenntnissen und auch den Begegnungen der Autorin und bricht dabei immer wieder mit der Chronologie – was es auf einnehmende Weise persönlich macht, fast intim manchmal, ohne aber je indiskret zu sein.
Im Prolog zitiert Vanessa Schneider ihre Cousine mit den Worten: Ich habe ein schönes Leben gehabt. Ihr Buch erzählt sehr viel von anderem – von Demütigungen, Abstürzen, Verlorenheit – aber eben auch von Freundschaften, von tiefer Zuneigung, und dem Mut, sich zu behaupten, trotz allem.
Katharina Döbler, radio3