Biografie zum 80. Geburtstag - Matthias Penzel u. Ambros Waibel: "Jörg Fauser. Rebell im Cola-Hinterland"
Am 16. Juli 1987 feiert Autor Jörg Fauser seinen 43. Geburtstag in Münchens Schickeria-Treff "Schumann's". Irgendwann verlässt er die Bar, wird morgens um vier Uhr auf einer Münchner Autobahn von einem Lastwagen erfasst und stirbt. Seine Romane, Gedichte, Reportagen und Erzählungen sind eine Ausnahmeerscheinung in der (west-)deutschen Literatur - von Mythen umrankt, von Geheimnissen umwölkt. Um Leben und Werk des Autors dem Vergessen zu entreißen, startete der Diogenes Verlag 2019 eine Neu-Edition. Beendet wird die Werkschau zum 80. Geburtstag des Autors mit einer von Matthias Penzel und Ambros Waibel verfassten Biografie.
Es ist die komplett überarbeite Fassung der Biografie, die vor 20 Jahren erstmals erschien. Die Autoren sind noch einmal tief in die Archive gestiegen, haben unbekannte Dokumente gefunden, mit Fausers Freuden und Feinden, Weggefährten und Kollegen gesprochen, sein Leben und Werk noch einmal neu vermessen.
Fausers Werk ist geprägt von Studentenrebellion, Popmusik und Drogenkonsum
Sie zeigen, wie stark Fausers Werk geprägt ist von Studentenrebellion und Alternativ-Bewegung, Popmusik und Drogenkonsum, wie hilflos und oft ablehnend das kulturelle Establishment auf diesen anarchischen Freigeist reagierte, der in keine Schublade passte und sich jeder Festlegung entzog.
Fauser war ein großer Verehrer der knallharten Krimis von Chandler und Hammett und ein rigoroser Verwerter amerikanischer Underground-Literatur von Burroughs, Ginsberg, Kerouac, Bukowski: Fausers schnoddrige Sprache und zersplitterte Weltsicht, sein Außenseitertum, bei dem das eigene Leben zum Rohstoff seiner Literatur wurde, spiegelt sich in der Machart der Biografie von Penzel und Waibel, die Leben und Werk von Fauser selbst in ein Stück "Cut-up"-Literatur verwandeln, Fakten und Fiktionen, Werkzitate und Kritikerverrisse, Urteile und Vorurteile collagieren und den "Rebell im Cola-Hinterland" zu einer Romanfigur machen, die man nicht dingfest machen kann.
Zaungast und Beobachter statt Revoluzzer und Rebell
Zwar verraten die Autoren nicht, wie sie auf den Titel gekommen sind und was sie damit eigentlich sagen wollen. Aber Fauser-Fans wissen, dass Jürgen Ploog, mit dem Fauser einige literarische Abenteuer bestand und viele durchzechte Nächte erlebte, einen "Cut-up"-Roman mit dem Titel "Cola-Hinterland" veröffentlichte, eine Dystopie, die hinter die Glitzerfassaden des Konsumkapitalismus blickt und dort nur Manipulation, Normierung und Gleichschaltung findet.
Wenn die Biografen Fauser zum "Rebellen" stilisieren, der gegen die Schattenseiten des Kapitalismus angeschrieben hat und eine neue Gesellschaft erstreiten wollte, hätte der nur müde gelächelt. Fauser war kein Revoluzzer und kein Rebell, er war nur Zaungast und Beobachter, immer dabei, aber nie mittenmang. Ständig wechselte er seinen Wohnsitz, lebte in Frankfurt und Göttingen, Hannover, München, (West-)Berlin, London und Istanbul, immer auf der Suche nach neuen Erfahrungen, die er literarisch verwerten konnte.
Er schrieb um sein Leben und nagte meistens am Hungertuch, in der Frankfurter und (West-)Berliner Hausbesetzer-Szene der 1970er Jahre trieb er sich herum, aber nicht als politischer Rebell, sondern weil das Wohnen dort nichts kostete und weil er so besser an Anschauungsmaterial für seine Glossen, Essays und Erzählungen über hochfliegende Illusionen und abstürzende Utopien kam.
Ungeklärte Todesumstände
Um Schreiben zu können, war er als Drogenkurier unterwegs und verdingte sich als Hilfsarbeiter. Seinen ersten finanziellen Erfolg hatte Fauser, der sich in der Weltliteratur genauso auskannte gut wie in der Welt des Films, 1978 mit dem Buch "Marlon Brando. Der versilberte Rebell", eine grandiose Skizze über den Filmstar, dessen rebellische Attitüde von Hollywood geduldet und versilbert wurde. Fauser spiegelte sich in seiner Brando-Biografie und wusste, wie der Kapitalismus subversive Kunst aufsaugt und vermarktet: Auch darauf spielen wohl Penzel und Waibel mit dem Titel ihres Buches an, ohne es auszusprechen oder auszuführen.
Niemand weiß, was der Autor nachts zu Fuß auf einer Autobahn zu suchen hatte. Es gibt Gerüchte, sein Tod habe etwas mit seinen Recherchen über die Verbindungen von Drogenmilieu und Politik zu tun. Die Biografen gehen den Gerüchten nach, fächern alle Varianten auf, holen die Meinungen von Freunden und Fachleuten ein, zitieren aus den Polizeiakten - aber exakt benennen, was damals wirklich geschah, können sie nicht. Niemand weiß, wann und warum Fauser seine eigene Geburtstagsfeier verließ, was er da draußen im Osten Münchens suchte, warum er, der sonst immer ein Taxi nahm, diesmal zu Fuß unterwegs war. Wahrscheinlich hat er sich, wie so oft, in einem der Vorstadt-Bordelle herumgetrieben, weniger aus sexueller Begierde, sondern um halbseidenen Tratsch und Rotlicht-Sound aufzuschnappen, den er in seinem neuen Roman verarbeiten wollte, mit dem es nicht voranging.
"Die Tournee" sollte das Buch heißen, in dem sich Künstler und Ganoven, korrupte Politiker und schräge Lebensphilosophen tummeln und der sich als Fragment in seinem Nachlass fand. Fauser fing auch einen Roman an, "Der dritte Weg", in dem Terror-Gruppen von V-Leuten unterwandert und zu Anschlägen animiert werden. Kurz vor seinem Tod interviewte er einen ehemaligen hochrangigen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes. Außerdem plante er eine Reise nach Fernost, um der Kooperation von Drogenkartellen und Polizei auf die Spur zu kommen: eine hochbrisante politische Gemengelage. Aber nirgendwo gibt es belastbare Indizien, die beweisen, dass Fauser Opfer eines Komplotts oder herbeigeführten Unfalls geworden ist. Alles bleibt im Ungewissen, Stoff für Legenden und Mythen.
Kein Nachfolger weit und breit
Wer Fauser entdecken will, sollte vor allem zum Roman "Rohstoff" greifen: Unter dem Namen Harry Gelb schreibt er den Roman seiner eigenen Generation, erzählt rasant, witzig und ehrlich vom Leben in Alternativ-Kommunen und vom LSD-Rausch in Istanbul und von einem jungen Mann, der sich als Nachtwächter und Flughafenarbeiter verdingt, aber nie vergisst, was er eigentlich sein und werden will: ein Schriftsteller.
Der Band "Das Weiße im Auge" versammelt Erzählungen, in denen er die großen Themen des Lebens charmant und flapsig abhandelt: Liebe und Geldsorgen. Auch die geheimnisvoll-verspielte und ironisch-kitschige Erzählung "Geh nicht allein durch die Kasbah" findet sich dort, ein Text, der die Fantasie der Klagenfurter Jury schlicht überforderte und Reich-Ranicki & Co. regelrecht in Rage brachte.
Schließlich "Kant", ein Krimi der Extraklasse: Privatdetektiv Hezekiel Kant kämpft sich durch den Münchner Dschungel aus Kunsthandel und Kriminalität. Fauser schrieb den Szene-Thriller als Fortsetzungsstory für eine Zeitschrift und verramschte den Krimi danach als Taschenbuch. Warum auch nicht? Denn den Literaturzirkus hat Fauser gehasst, sich anbiedern bei Kritikern und Verlagen, das war ihm zuwider, Stipendien und Preise konnten ihm gestohlen bleiben. Er war ein Freigeist, heimatlos wie sein Privatschnüffler "Kant", immer bereit, bis an die Schmerzgrenze der Selbstzerstörung zu gehen. Kein Nachfolger weit und breit.
Frank Dietschreit, radio3