Daniel Barenboim u. Martha Argerich in der Philharmonie Berlin, 06.01.23 © Monika Rittershaus
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Daniel Barenboim u. Martha Argerich (2023) | Bild: Monika Rittershaus Download (mp3, 14 MB)

Philharmonie Berlin - Daniel Barenboim dirigiert die Berliner Philharmoniker

Bewertung:

Gerade wurde Daniel Barenboim zum Ehrenmitglied der Staatsoper Unter den Linden und zum Ehrenchefdirigenten der Staatskapelle Berlin ernannt. Schon sehr viel länger ist er Ehrendirigent der Berliner Philharmoniker, und bei diesem Orchester, wo er bereits seit vielen Jahrzehnten regelmäßiger Gast ist, war er mit Martha Argerich zu erleben, mit der ihn seit Kindertagen eine enge Freundschaft verbindet.

So brechend voll erlebt man die Philharmonie selten. Schon an der Abendkasse musste eine große Schlange von Menschen, die noch auf Restkarten spekulierten, umgeleitet werden. Statt der drei Konzerte hätte man sicher auch noch mehr ausverkauft bekommen.

Und alle, die eine Karte bekommen haben, wurden Zeuge vor allem einer bestens aufgelegten Martha Argerich, die noch einmal das zu steigern vermochte, was man von ihr in den besten Momenten kennt. Sie ist eine Vollblutmusikerin, die auf nichts und niemanden Rücksicht nimmt. Gut so!

Martha Argerich darf alles – weil sie es kann!

Martha Argerich zeigt gleich, wohin sie will. Nach der langen Orchestereinleitung in Beethovens erstem Klavierkonzert setzt sie gleich mal zu früh ein, um ein Zeichen zu setzen. Aber das ist kein Ergebnis größter Energie und Ungeduld – sie hat einfach die Gabe, so packend und mitreißend zu spielen, dass man meinen können, sie spiele für einen selbst. Sie macht aus allem eine kleine Geschichte – egal ob da ein Dreiklang oder eine Tonleiter steht. Wahrscheinlich könnte sie auch "Alle meine Entchen" spielen, und man würde gebannt lauschen.

Diese großartige Gestalterin lässt uns heute noch nachvollziehen, was die Zeitgenossen selbst am frühen Beethoven so unerhört modern empfunden haben mussten. Sie knattert die Figuren in den Flügel, verteilt anschließend verträumte Streicheleinheiten – und kickt im Rondo die Töne in die Ecke. Das ist erfrischend, frech und verschämt – und ganz Beethoven bei sich selbst. Sie kann sich ohnehin alles erlauben – bei diesem traumhaften Anschlag und diesem gestalterischen Furor darf sie alles!

Mitgerissen

Wie begleitet man eine derart unberechenbare Pianistin? Die Berliner Philharmoniker begannen den Beethoven mit einer leider ziemlich konventionell gespielten, uninspirierten Einleitung. Aber das währte nicht lang. Martha Argerich deutete an, dass es ihr ziemlich egal ist, wer sie begleitet, hat das Orchester immer mal wieder abgehängt – und dann kam die Botschaft an. Am Ende war es dann ein mitreißendes Miteinander.

Muss man da noch sagen, dass es stehende Ovationen gab?! Und Martha Argerich präsentierte in ihrer Zugabe (Gavotte 1 und 2 aus der Englischen Suite in g-Moll von Johann Sebastian Bach), wie wunderbar es ist, wenn großartige Musik von einer der genialsten Pianistinnen überhaupt aufgeführt wird.

Kostbare Momente

Daniel Barenboim muss seiner schweren Erkrankung nach wie vor Tribut zollen, konnte nur mühsam auf die Bühne kommen und musste im Sitzen dirigieren. So manchen Abend in der letzten Zeit hatte man das Gefühl, das Orchester müsse alles alleine machen, Barenboim sei nur anwesend, kaum mehr. Hier jedoch wirkte Barenboim präsenter und kräftiger.

Sicher, die Berliner Philharmoniker kennen Barenboim seit Jahrzehnten, man ist miteinander vertraut. Und das hat der Aufführung der vierten Sinfonie von Johannes Brahms gutgetan. Von Anfang an war eine Verbindung zwischen Dirigent und Orchester erfahrbar, hergestellt durch den wunderbaren 1. Konzertmeister Noah Bendix-Balgley. Sicher, Barenboim nimmt dieses Werk sehr schwer, sehr langsam, bisweilen zu dicht und massiv. Aber dann hat sich immer wieder der Nebelschleier gelöst, die Philharmoniker selbst haben Klarheit geschaffen und Strukturen erkennen lassen und die typische Melancholie bei Brahms vermittelt.

Das war kein wirklich neuer Ansatz, aber es gab einige erlesene und kostbare Momente.

Andreas Göbel, radio3