Joana Mallwitz: Momentum © Accentus Music/Ulf Wogenstein
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Debüt in der Berliner Philharmonie - Joana Mallwitz dirigiert die Berliner Philharmoniker

Bewertung:
Seit anderthalb Jahren ist Joana Mallwitz Chefdirigentin des Konzerthausorchesters Berlin. Jetzt gibt sie ihr Debüt bei den Berliner Philharmonikern. Auf das Programm gesetzt hat sie Werke aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – eine Zeit, die ihr musikalisch besonders am Herzen liegt.

Joana Mallwitz ist nach wie in Berlin beliebt und anerkannt. Entsprechend restlos ausverkauft war es in der Berliner Philharmonie, und neben lang anhaltendem Beifall und Jubel rief jemand, als alles fertig und verklungen war, am Ende noch lautstark "Zugabe" …

Das Programm hat sie ganz auf ihre Vorlieben abgestimmt mit Werken aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kurt Weill hat sie ja mit dem Konzerthausorchester aufgeführt und auf CD aufgenommen – hier gab es jetzt Prokofjew, Hindemith und Ravel – alles Musik, die nicht mehr so ganz die Spätromantik verkörpert (mit Ausnahme von Rachmaninow, aber das war hörbar nicht so ganz ihre Sache), kurz: die gemäßigte Moderne.

Musik an der kurzen Leine

In seiner Sinfonie "Mathis der Maler", drei instrumentalen Auskoppelungen aus seiner gleichnamigen Oper, gibt sich Paul Hindemith nicht mehr ganz als der Provokateur der 20er-Jahre, sondern viel harmonischer, großformatiger und klangintensiver. Da hat Joana Mallwitz hörbar an etlichen Farben gefeilt, es auch mal kräftig strahlen lassen, aber auch ihre Vorliebe für eine gewisser Unterkühltheit bei Hindemith durchscheinen lassen.

Das hat funktioniert, hatte auch etliche gute Momente. Nur kam ihr ihre Art, sehr abgezirkelt und ausladend zu dirigieren, etwas in die Quere. Das wirkte oft so, als wenn sie die Philharmoniker an der kurzen Leine führen würde. Aber warum? Geprobt war es, und jetzt wäre es an der Zeit, gewesen, dem Orchester den Raum zu lassen, einen großen Bogen zu entfalten. So blieb es im klein-klein verhaftet, und die halbe Stunde zog sich ziemlich in die Länge.

Ravel zum 150. Geburtstag

Aktueller zum 150. Geburtstag von Maurice Ravel am 7. März konnte man mit dessen "La Valse" nicht sein, und das war natürlich ein Paradestück, das die Berliner Philharmoniker blind spielen können, voller natürlicher Virtuosität, Süffigkeit und Wucht. Gleich am Beginn ein köstliches Gegrummel, als wenn ein Riesendrache aus dem Schlaf erwacht, und man hört Fragmente und Fetzen wie Gesteinstrümmer durch das Weltall fliegen, bevor sich dann die Walzerseligkeit breit macht.

Das hat allen Spaß gemacht, war aber dann doch nur die halbe Wahrheit – es fehlte das Bedrohliche. Ravel hat das Stück nach dem Ersten Weltkrieg ausgearbeitet, und da war die Welt eine ganz andere. Diese Aufführung sorgte momentweise für Genuss – ein wirklicher interpretatorischer Wurf war es nicht. Und so war es ein durchaus hörenswertes Debüt von Joana Mallwitz bei den Berliner Philharmonikern. Man hat deutlich ihre Qualitäten gehört, aber auch ihre klaren Grenzen.

Anna Vinnitskaya © HR/Marco Borggreve
Anna Vinnitskaya Bild: HR/Marco Borggreve

Melancholische Freundlichkeit

Anna Vinnitskaya, den Berliner Philharmonikern seit einigen Jahren regelmäßig verbunden, hat mit Sergej Rachmaninow ein Gipfelstück der Klavierkonzertliteratur herausgefordert. Und da blieb einem durchaus momentweise der Mund offen stehen, mit welcher Leichtigkeit sie die horrenden Schwierigkeiten des dritten Klavierkonzerts bewältigte. Schlank und gelassen, wo nötig auch kräftig zulangend, in den ruhigen Gedanken mit melancholischem Charme, aber durchweg mit Freundlichkeit – so konnte man das alles genießen.

Allerdings fehlte eine gewisse Dringlichkeit, das Wissen, um bestimmte Ausdruckstiefen aus ringen zu müssen. Die Klarheit ihres Spiels ging bisweilen auf Kosten der Tiefe – so richtig gepackt hat es nicht. Ganz im Gegensatz zu ihrer Zugabe, dem Venezianischen Gondellied in fis-Moll von Mendelssohn. Da war es: Dringlichkeit, Kraft, Nachdenklichkeit, gestalterisches Selbstbewusstsein. Diese drei Minuten bleiben lange in Erinnerung.

Andreas Göbel, radio3

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