Antonello Manacorda, Dirigent © Peter Meisel
Peter Meisel
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Philharmonie Berlin - Antonello Manacorda dirigert das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

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Seit 2010 ist Antonello Manacorda Chefdirigent der Kammerakademie Potsdam und wird das Ensemble zum Ende der Spielzeit verlassen. Gestern war er auswärts unterwegs, nämlich in Berlin, und hat in der Philharmonie das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin dirigiert.

Und die Chemie stimmt – das RSB schätzt es offenkundig, wenn jemand am Pult seinen eigenen Kopf hat, nie Routine abliefert und für besondere Erkenntnisse und Überraschungen sorgt.

Vier Flöten und ein Dirigent auf der Bühne

Den eigenen Kopf hat Antonello Manacorda gleich am Beginn in "The Unaswered Question" von Charles Ives bewiesen. Von der Gesamtbesetzung sitzen nur die vier Flöten auf der Bühne. Das Streichorchester ist im Backstage-Bereich postiert, die Trompete scheint über allem zu schweben.

Das ist eigentlich eine schöne Idee, das Räumliche dieser Komposition zu verdeutlichen. Nur hat der Große Saal der Berliner Philharmonie nicht mitgespielt. Zu leise klingen die Streicher, um die Bewegungslosigkeit zu erzeugen, die dem Ganzen erst den Grund gibt.

Heile Welt – fast jedenfalls

In seiner Gesangsszene "Knoxville: Summer of 1915" verwendet der US-Amerikaner Samuel Barber einen Text seines Landsmannes, des Dichters James Agee. Darin schildert dieser einen Abend in Erinnerungen aus der Perspektive des sechsjährigen Kindes, das der Autor damals war. Ein idyllisches Beisammensein der Familie, das Evozieren einer gerade noch heilen Welt, kurz bevor der Vater des Autors bei einem Autounfall ums Leben kommen sollte. Hier ist aber noch alles in Ordnung – das Kind erlebt Vögel, eine Straßenbahn, Gespräche der Familie und genießt, wie es zu Bett gebracht wird.

Samuel Barber nimmt das als Steilvorlage für ein Füllhorn an Geräuschen und Melodien, viel zieht vorbei. Man folgt der wunderbar schlichten Darstellung der Sopranistin Maria Bengtsson, die ganz einfach schildert und nur am Schluss etwas pathetischer wird, wo es kurz um die Stunde des Todes geht und die erwähnte Katastrophe erahnt wird. Antonello Manacorda putzt den Orchesterklang fein heraus, das ist die Poesie des Kleinen, man fühlt sich angenehm in diese Welt hineingezogen.

Antonello Manacorda u. Maria Bengtsson (Sopranistin) © Peter Meisel
Bild: Peter Meisel

Mit Schumann in Topform

In seiner zweiten Sinfonie hat sich Robert Schumann aus einer schweren Depression wieder zurückgekämpft. Und Antonello Manacorda schildert diesen Kampf. Man hört, wie dicht und komplex das Werk erdacht ist, aber hier ist alles durchleuchtet, Strukturen wandern durch das Orchester, im Scherzo werfen sich alle die Bälle zu, Melodien werden wie ein endloses Seil durch die melancholischen Momente gespannt. Man fühlt sich gepackt und an die Hand genommen und immer aufgefordert, dem zu folgen, was die da erzählen.

Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin hat hörbar Vergnügen an dieser Deutung, lässt sich gerne von Manacorda anfeuern, immer noch mehr zu geben. Da waren Effekte, die man so prägnant noch nie gehört hat – der Stereoeffekt zwischen Ersten und Zweiten Geigen oder der brodelnde Dampfkessel in den tiefen Streichern während des Finales. Am schönsten waren dann aber doch die Holzbläser, deren Melodien so strahlten, als wäre jetzt schon Weihnachten. Das RSB präsentierte sich in Topform mit Manacorda als einem Dirigenten, der das Orchester zu einer Höchstleistung zu kitzeln verstand.

Andreas Göbel, radio3

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