Seong-Jin Cho, Pianist © Stephan Rabold
Stephan Rabold
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Philharmonie Berlin - Seong-Jin Cho und die Berliner Philharmoniker

Bewertung:

Der südkoreanische Pianist Seong-Jin Cho hat 2015 für Aufsehen gesorgt, als er mit nur Anfang 20 den renommierten Chopin-Wettbewerb in Warschau gewann. Inzwischen ist er sehr erfolgreich und in dieser Saison Artist in Residence bei den Berliner Philharmonikern. Dort präsentierte er sich zum Auftakt mit Schostakowitsch.

Allein dieser Wettbewerbserfolg ist viel wert. Allerdings braucht man dann auch Glück zum Erfolg, und als der Pianist bei den Berliner Philharmonikern für Lang Lang eingesprungen war, stand seiner Karriere nichts mehr im Wege. Entsprechend groß war das Interesse des Publikums – das Konzert war brechend voll.

Zwei Singe kommen bei Seong-Jin Cho zusammen: seine geradezu olympische Technik, die es ihm erlaubt, die schwierigsten Fingerbrecher zu spielen, als wäre es nichts. Aber das ist nicht alles – er hat Tiefe, Intensität und Ernsthaftigkeit, große Dichte und Schwere. Anschlagstechnisch steht ihm alles zur Verfügung.

(Kein) schwarzer Humor

Für sein erstes Konzert als Artist in Residence hat er sich das Doppelkonzert für Klavier und Trompete von Dmitrij Schostakowitsch ausgesucht – eigentlich eine nicht ganz falsche Entscheidung, wenn man in einem im Programmheft abgedruckten Interview liest, dass Cho schwarzen Humor mag und seine Freude sagten, dass er zum Sarkasmus neige.

Seine Stärken kann er zunächst ausspielen: Der erste Satz ist von schwerer Dichte, erinnert mitunter an Rachmaninow. Dann fegt er wieder über die Tasten, dass man mit dem Hören kaum hinterherkommt. Aber der groteske Humor dieses Stückes, die vielen Zitate, die herausgestreckte Zunge, das alles fehlte. Zwar donnert er bisweilen in die Tasten, spielt aber über die eigentlichen Pointen hinweg bzw. bekommt sie nicht über die Rampe. Das geht auf hohem Niveau am Stück vorbei. Falsche Wahl.

Die Zugabe reißt es raus

Auch die Berliner Philharmoniker unter Paavo Järvi spielen brillant – aber nicht sarkastisch. Und der Solo-Trompeter des Orchesters, Guillaume Jehl, zeigt sich als ein Meister seines Faches mit einem Trompetenton zum Dahinschmelzen. Er kann schmachten, er kann schmettern, alles vom Allerfeinsten. Allerdings spielt er seinen Part auch ziemlich ungerührt herunter.

Humor gibt es allein bei der Zugabe für Trompete und Klavier. Dieses kleine Stück von Leonard Bernstein, kaum zwei Minuten lang, sprüht vor Witz und Leichtigkeit, das lassen sich Seong-Jin Cho und Guillaume Jehl auf der Zunge zergehen. Diese Petitesse klang origineller als der ganze Schostakowitsch zuvor. Warum nicht gleich so?

Bruckner im Versuchsstadium

Die Berliner Philharmoniker haben zum Bruckner-Jahr alle Sinfonien unter der Leitung verschiedener Dirigenten auf das Programm gesetzt. Jetzt war also Paavo Järvi mit der Ersten dran. Und er wählte die frühe Linzer Fassung. Hier hört man Bruckner noch ziemlich am Beginn seiner Auseinandersetzung mit dieser großen Gattung.

Manches ist da, was Bruckner später perfektionieren sollte: Wucht, geballte Ladungen Klangintensität. Aber es gibt eben auch Stellen, da ist das Versuchsstadium noch klar zu erkennen. Plötzlich wird es kammermusikalisch, was so gar nicht zur Sinfonie passt. Und so manche Unbeholfenheit ist auch noch nicht ausgebügelt.

Überzeugender Gegenentwurf

Wie Paavo Järvi diese Frühfassung angeht, ist ein hervorragender Gegenentwurf zur Aufführung der späten, der Wiener Fassung, die Christian Thielemann beim Musikfest Berlin mit den Wiener Philharmonikern präsentierte. Da war alles gut abgehangen, während Paavo Järvi ganz auf die jugendliche Unbekümmertheit setzt.

In sensationell kurzen 45 Minuten wirkt diese Musik plötzlich ganz durchsichtig, frech, fast unverschämt. Man kann plötzlich nachvollziehen, warum Bruckner von seinem akzeptierten Erstling als von einem „kecken Beserl“ sprach. Järvi gelingt es, die Gegensätze, die noch gar nicht zueinander passen wollen, unter einen Bogen zu zwingen. Und das kann er, weil die Berliner Philharmoniker, in Bestform agieren: virtuos und klangintensiv, allen voran die Holzbläser. So macht Bruckner Spaß.

Andreas Göbel, radio3