Christian Thielemann, GMD © Matthias Creutziger
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Philharmonie Berlin - Musikfest Berlin: Die Wiener Philharmoniker unter Christian Thielemann

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Das Gastspiel der Wiener Philharmoniker unter Leitung von Christian Thielemann zählte zu den Höhepunkten des diesjährigen Musikfests Berlin. Der neue Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden hat neben der "Frühlings-Sinfonie" von Robert Schumann auch die erste Sinfonie von Anton Bruckner auf das Programm gesetzt, anlässlich des 200. Geburtstags des Komponisten in diesem Jahr.

Christian Thielemann ist derzeit einer der führenden Bruckner-Dirigenten überhaupt. Warum, das hat er auch diesmal unter Beweis gestellt. Da gibt es diese Klangpracht im Sinne einer Überwältigungs-Planier-Raupe, unter der man in den Sessel gedrückt wird. Aber Thielemann weiß eben auch, wie man alles gut dosieren muss. Er findet Zwischentöne, ruhige Momente, bei denen man auch durchatmen kann.

Zwischen Kathedrale und Kuscheldecke

Anton Bruckner polarisiert. Bis heute. Für die einen ist er zu monumental, die anderen finden architektonische Aspekte in seinen Sinfonien verwirklicht. Sicher kann man sagen: Bruckner verstehen kann man nur, wenn man den Bau der großen mittelalterlichen Kathedralen verstanden hat.

Und in eine solche Kathedrale fühlt man sicher auch in dieser Ersten Sinfonie (Wiener Fassung) versetzt. Christian Thielemann versteht Bruckner aus dessen Organisten-Herkunft. Die Register werden hier im Orchester umgesetzt, man fühlt sich durchgeschüttelt. Massiv, aber auch immer wieder unter die Lupe genommen. Das kommt dem Ideal der Sinfonien Bruckners beeindruckend nahe.

Schumann mit Vitamin C

Eine weitere Erste gab es mit der sogenannten "Frühlings-Sinfonie" von Robert Schumann. Christian Thielemann versteht diese Musik aus der spätromantischen Bruckner-Ecke. Das ist schönste Goldkante, gewiss zwei Kilo schwerer als normal, die Melodien zuckersüß.

Da wird massiv Vitamin C hineingepumpt. Im Finale lässt Christian Thielemann dann blicken, wen er gut studiert hat: die Entwicklungen im Tempo hat man seit Wilhelm Furtwängler nicht mehr so überzeugend gehört.

Gastspiel-Fazit

Das war das letzte Gastspiel des diesjährigen Musikfests Berlin. Was bleibt in Erinnerung? Sicher der Schwerpunkt Amerika mit Charles Ives und John Adams. Bemerkenswert gleich der Beginn mit dem Orchester aus Sao Paolo. Und ein wesentlicher Aspekt – durch die vielen hervorragenden Berliner Orchester gibt es zu wenige Orchester-Gastspiele. Das Musikfest Berlin füllt auf bestem Niveau eine große Lücke.

Und eine verrückte Überraschung gab es auch: das Ensemble Resonanz aus Hamburg mit seinem im besten Sinne komplett durchgeknallten Principal Guest Conductor Ricardo Minasi, Spezialist für historisch informierte Aufführungspraxis, mit der "Eroica" von Beethoven. Wie diese Sinfonie mehr als zwei Jahrhunderte nach ihrer Uraufführung auch das Publikum von heute atemlos hinterlässt, war die Festivalerkenntnis dieses Jahres. Kompliment!

Andreas Göbel, radio3

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