Konzerthaus Berlin - Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Vladimir Jurowski
Drei sinfonische Schwergewichte hat sich das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter seinem Chefdirigenten Vladimir Jurowski für sein Sinfoniekonzert gestern Abend im Konzerthaus Berlin ausgesucht: das monumentale erste Klavierkonzert von Johannes Brahms mit Yefim Bronfman als Solist, das Vorspiel zu Richard Wagners Bühnenweihfestspiel "Parsifal" und das Adagio aus der Fragment gebliebenen zehnten Sinfonie von Gustav Mahler.
Yefim Bronfman spielt das erste Klavierkonzert von Johannes Brahms seit Jahrzehnten, er kennt jeden einzelnen Ton in- und auswendig. Er hat die Übersicht, technisch nicht die geringsten Probleme, jeder Griff sitzt, es dominieren Ruhe und Übersicht. Das war eine solide und unaufgeregte Aufführung.
Das mag man kompetent nennen, ist es auch, aber Bronfman scheint keine Fragen mehr an das Stück zu haben. Der junge Brahms, der um seinen Platz in der Musikgeschichte kämpft, der sich die Hörner abstoßen muss? Ein Konzert, das zunächst einmal auf Ablehnung stieß, weil zu dämonisch, zu dissonant, zu wenig spielerisch?
Das alles hat man hier nicht gehört, es war sehr fließend, aber auch reichlich routiniert, ein wenig einheitlich und pauschal in Anschlag und Dynamik. Ein wenig hochauflösender hätte es schon ausfallen dürfen. Auch Vladimir Jurwoski am Pult des RSB wirkte wenig glücklich. Fehlte da die Zeit, um alles gemeinsam besser auszufeilen?
"Zum Raum wird hier die Zeit"
Auch im Vorspiel zu Richard Wagners Bühnenweihfestspiel "Parsifal" wäre eine Probe mehr besser gewesen, da klapperte am Beginn doch manches im Orchester. Dann aber wurde der Ansatz von Vladimir Jurowski klar, und man fühle sich an einen der zentralen Sätze in der Oper erinnert: "Zum Raum wird hier die Zeit".
Und das wurde umgesetzt: In sehr langsamem Tempo hat der Dirigent ganz auf den Klang geachtet, das Zeitgefühl aussetzen können und dafür Klangräume geschaffen, die mal an eine riesige Kathedrale erinnerten, dann wieder ganz eng auf einen kleinen Punkt fokussiert erschienen. Das konnte durchaus überzeugen.
Zwischen Idylle und Hölle
Seine zehnte Sinfonie hat Gustav Mahler als Fragment hinterlassen. Der erste Satz ist immerhin so weit vorhanden, dass man nur noch verhältnismäßig wenig in der Instrumentation ergänzen muss. In den nachfolgenden Sätzen wird es immer spekulativer, so dass dieses Adagio immer schon gerne auch alleine aufgeführt wurde und wird. Und immerhin dauert es eine halbe Stunde und ist in seinen Extremen zwischen scheinbarer Idylle und einem Blick in die Hölle deutlich genug, dass es auch allein zu wirken vermag.
Das RSB und sein Chef Vladimir Jurowski haben das brutal ernst benommen. Wo scheinbarer Wohlklang vorherrschte, hörte man sofort Risse und Kratzer, das schwebte in der Luft, und dann fühlte man sich heftig auf den Boden gepresst von Klangmassen, die den Saal zum Beben brachten. Das kreischte in den Ohren, war gefährlich nahe dran an Körperverletzung, aber das muss auch so sein. Am Ende dann ein Zerfallsprozess, als wenn nur noch ein paar Reste Sternenstaub durch das Weltall fliegen. Das hat man in dieser Dringlichkeit selten einmal gehört, und dafür hat sich der Konzertbesuch mehr als gelohnt. Da musste man hinterher tief durchatmen.
Andreas Göbel, radio3