Vladimir Jurowski; © RSB/Peter Meisel
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Philharmonie Berlin - Saisonauftakt des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin

Bewertung:

Auch das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin ist jetzt in seine neue Saison gestartet. Im Rahmen des Musikfests Berlin hat Chefdirigent Vladimir Jurowski neben der Tragischen Ouvertüre von Johannes Brahms auch einige Lieder von Arnold Schönberg dirigiert, dessen 150. Geburtstag in diesem Jahr begangen wird. Und schließlich stand noch die „Harmonielehre“ von John Adams auf dem Programm, die sich mit dem gleichnamigen Lehrbuch von Schönberg musikalisch-kritisch auseinandersetzt.

Nicht allzu häufig hört man die Tragische Ouvertüre von Johannes Brahms. Ein Werk, gewissermaßen ein Festival der Grautöne, aber doch voller Erhabenheit. Vladimir Jurowski gibt dem Werk auch die Zeit, die es braucht, und doch hört man zu sehr die Scharniere, es klingt nach Bastelanleitung und wirkt trocken wie Zwieback.

Erst im letzten Teil löst sich die Handbremse, und der Raum weitet sich. So hätte man sich das gesamte Stück gewünscht, aber es war halt das erste Stück nach der Sommerpause, da schienen noch nicht alle gedanklich zurück auf dem Podium zu sein.

Junges Talent

In den Orchesterliedern op. 22 von Arnold Schönberg war die singapurisch-britische Mezzosopranistin Fleur Barron eingesprungen, ein junges Talent mit einem sehr breiten Repertoire von Alter Musik bis zur Moderne. Letzteres kam ihr gut entgegen – wer diese extrem schweren Lieder in kurzer Zeit einstudieren will, muss mit der Avantgarde gut befreundet sein.

Fleur Barron ist eine Erscheinung – in knallrotem Kleid und barfuß kommt sie auf die Bühne. Ihre ausdrucksintensive Mimik passt eher zu einer Operninszenierung, und den expressionistischen Texten verleiht sie einen Furor mit einer konsonantenspuckenden Deutlichkeit. Mit Atonalität hat sie wirklich keinerlei Probleme. Mitunter muss sie mit ihrer ein wenig schmalen Stimme gegen das Orchester ankämpfen, ist aber bei allem eine Hochbegabung, die man in Erinnerung behält.

Verrückte Träume mit Kitsch-Gefahr

John Adams hat Probleme mit Schönberg. Jedenfalls mit dem der Zwölftontechnik. Böse Worte wie "Qual" oder "Hässlichkeit" hat er dafür gefunden. Und seine "Harmonielehre" – die Betonung liegt hier auf "Harmonie" – beginnt wie eine Kampfansage – tonaler geht es kaum.

Für sein Stück findet er köstliche Traumbilder – ein riesiger Tanker, der wie eine Rakete in die Höhe schießt, oder die Tochter des Komponisten auf den Schultern des mittelalterlichen Mystikers Meister Eckhardt im All herumfliegend.

Das muss man aber alles gar nicht wissen. In diesem minimalistisch aufgebauten Stück wiederholen sich Strukturen und Motive immer und immer wieder, rhythmisch ziemlich verschachtelt, und das in schönsten Harmonien, da besteht durchaus Kitsch-Gefahr. Das ist mitunter dermaßen süß, als hätte jemand aus Versehen mindestens zehn Stück Würfelzucker in die Tasse Kaffee geschüttet.

Das RSB im Fitness-Studio

Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin geht zunächst betont konzentriert-vorsichtig an diese durchaus nicht unheikle Aufgabe. Das ist auch richtig, schließlich will niemand aus der Kurve fliegen, was leicht passieren kann. Dann aber löst und lockert sich alles, und alle bekommen mehr und mehr Spaß an den überwältigenden Klangmassen, da sind alle am Arbeiten, als wenn sie im Fitness-Studio wären und ihre Übungen wiederholen, und garantiert sind etliche Kilo an diesem Abend draufgegangen.

Das Orchester kann das aber eben auch. Da dröhnen die Blechbläser, als wenn Seeungeheuer Nessie sich gerade die Nase schneuzt, das macht denen auf der Bühne und denen im Publikum gleichermaßen Spaß. Es funktioniert – aber auch und gerade deswegen, weil das RSB das so unglaublich klangsatt spielt. Das ist Prachtentfaltung auf phantastischem Niveau, da waren alle wach – ein toller Saisonauftakt.

Andreas Göbel, radio3