Album der Woche | 10.03. - 16.03.2025 mit Verlosung - Ensemble Altera: "Dazzling Light"
Anders als in Europa sind professionelle Kammerchöre in den USA eine Rarität. Umso mehr hat das exzellente Debütalbum des Altera Ensemble vor einem Jahr überrascht. Nun hat der aus dem kleinen Bundesstaat Rhode Island heraus operierende Chor mit dem Album "Dazzling Light" nachgelegt. In den 15 um das Thema Licht kreisenden Stücken begeistert das Ensemble mit gesanglicher Intensität und großer Dynamik.
Schon als Jugendlicher schwärmte Christopher Lowrey aus Johnston in Rhode Island für die englische Chortradition. Er sang dann während seines Studiums im englischen Cambridge im Trinity College Choir. Nach seinem Abschluss schlug er eine Karriere als Countertenor ein und tritt heute weltweit in Opernproduktionen auf.
Traum
Sein großer Traum war es aber, einen professionellen Kammerchor zu gründen. Als während der Corona-Pandemie seine Gesangskarriere stillstand, ergriff er die Gelegenheit und startete 2020 das Altera Ensemble. Die ersten Proben fanden in einem Parkhaus statt!
Der Chor tritt derzeit mit 22 Sängerinnen und Sängern auf, und diese stammen einerseits aus Rhode Island und Boston, andererseits aus US-Metropolen und schließlich vom großen britischen Sänger-Pool.
Eigenständig
Die europäischen Gäste sollen etwas von der berühmten englischen Chor-Stilistik einbringen. Lowrey glaubt jedoch, dass sein Ensemble einen eigenen, hybriden Stil aus europäischen und amerikanischen Einflüssen entwickelt hat: "Ich glaube, wir haben einen ganz bestimmten Sound kreiert – wenn man uns hört, erkennt man uns nach wenigen Sekunden. Ich denke, zusammen haben wir da etwas Magisches gefunden!“
Unwiderstehlich
Und in der Tat: Der Sog von Klängen, den das Altera Ensemble auf "Dazzling Light" produziert, ist unwiderstehlich. Der Vortrag des Ensembles ist an Intensität kaum zu überbieten, die Strahlkraft des Chores ist enorm, und fast jedes der Stücke auf dem Album zeichnet sich durch eine gewaltige Dynamikbreite aus. In den leisen Teilen fließen die Stimmen wunderbar ineinander, mit ganz warmem Klang – und so kommt auch die Bedeutung "schillernd" als Übersetzung für "dazzling" zu ihrem Recht, neben den "blendenden, grellen" Abschnitten. Der Suchtfaktor dieses Albums ist nicht zu unterschätzen!
Extreme
Christopher Lowrey erklärt seinen stilistischen Ansatz so: "Heutzutage sind viele Aufnahmen für einfaches Hören im Hintergrund bearbeitet, aber das ist überhaupt nicht nach meinem Geschmack. Musik sollte provozieren, sollte schocken, einen bewegen und vom Schlummern abhalten. – An meinem Chor liebe ich natürlich die menschliche Stimme und die vielen Farben, die sie produzieren kann, aber ganz besonders die dynamischen Möglichkeiten – die ähneln denen eines Sinfonieorchesters! Vielleicht liebe ich es etwas zu sehr, die Extreme zu erkunden. Aber das Hören sollte in jedem Fall eine aufregende Erfahrung sein.“
Roter Faden
Das Licht in den Gesangstexten ist der rote Faden, der die 15 Werke des Albums miteinander verbindet. Zum Großteil stammen sie von englischen Komponisten und sind in den vergangenen 50 Jahren entstanden. Darunter mischen sie aber auch Stücke von Thomas Tallis aus der Renaissance und von Charles Wood aus dem 19. Jahrhundert. Aus dem dritten Kompositionswettbewerb des Altera Ensemble hervorgegangen ist ein Stück des Südafrikaners Motshwane Pege.
Kirchlich
Bei den meisten Werken handelt es sich um Kirchenmusik oder in ihnen sind zumindest christliche Texte vertont. Das Licht wird im Kontext der Schöpfungsgeschichte besungen, als Bezwinger der Dunkelheit oder als Verkörperung Gottes. Der Auftakt des Albums bringt mit dem auf dem biblischen Buch Amos und einem Psalmvers beruhende Stück "Seek Him that Maketh the Seven Stars" von Jonathan Dove ein eindrucksvolles Zusammenspiel von Chor und Orgel – diese wird von John Black gespielt.
Kernstück
Ein Kernstück des Albums ist "Light" vom jungen Engländer Toby Young. Es handelt sich dabei um einen Kompositionsauftrag des Altera Ensemble, in dem Young einen das Licht und die Liebe feiernden Text des indischen Philosophen und Dichters Rabindranath Tagore vertont hat. Auch hier ist die Orgel beteiligt, allerdings setzt sie erst ganz spät ein und erzielt dadurch eine besondere Wirkung. Nach Ansicht von Christopher Lowrey hat das Stück dadurch etwas "Transzendentes" an sich.
Dunkelheit
Drei Werke fußen auf dem lateinischen Hymnus "Te lucis ante terminum" aus dem letzten Stundengebet des Tages. Das Gedanke des verschwindenden Lichts, um den es hier geht, wird am Ende des Albums noch weitergetrieben. Denn die Dimension des Lichts ist nur erfassbar durch sein Gegenteil, die Dunkelheit. Diese wird insbesondere durch den Song "Sleep" des amerikanischen Komponisten Eric Whitacre repräsentiert. Und eine eigenständige Rolle spielt dann noch das "ewige Licht", das in der lateinischen Totenmesse besungen wird.
Rainer Baumgärtner, radio3