Album der Woche | 17.03. - 23.03.2025 mit Verlosung - Juri Vallentin: "Rush"
"Rush" heißt das aktuelle Album des Oboisten Juri Vallentin, der unter anderem als erster Oboist überhaupt den renommierten Tschaikowsky-Wettbewerb gewonnen hat. Vallentin spannt auf dem Album einen großen Bogen, denn er verbindet darauf zusammen mit dem ensemble reflektor Barockes mit Pop.
Was tun, wenn man sich schockverliebt hat? Tätig werden. Aktiv auf das Ziel zusteuern. Das hat Juri Vallentin gemacht, als er mit sieben Jahren barocke Oboenkonzerte zu Hause rauf und runter hörte. Dabei musste er warten, bis er 12 Jahre war, bis er endlich sein begehrtes Instrument erlernen durfte. Die Zwischenzeit hat er mit der Flöte überbrückt, denn damals gab es die Kinderkonzerte, mit denen heute in den Musikschulen gestartet wird, noch nicht.
Barockes Glück
Sein erstes Konzert, das er sich nach einigen Monaten Unterricht aufs Pult legen konnte, war Allessandro Marcellos berühmtes Oboen-Konzert in d-Moll. Das durfte auf diesem Album nicht fehlen - es ist eines von drei italienischen Barockkonzerten, die zu hören sind.
Doch das Italienische ist auf diesem Album gut gewürzt: Die barocken Werke werden von zwei Popsongs ergänzt - von einer völlig unbekannten französischen Komponistin und einer Eigenkomposition. Ein wilder Mix, veröffentlicht unter dem Titel "Rush".
Rascher Rausch
Zum Album äußert sich Vallentin so:
"Es ist ein sehr assoziativer Titel, der verschiedene Sachen anspricht. Erst einmal ist 'Rush' natürlich dieses 'Nach-vorn-Eilen', motorische Musik, virtuos, prickelnd. Das spricht natürlich für die Barockmusik. Es meint aber auch die Popmusik. Und dann hat 'Rush' auch noch diese Assoziation von Rausch - also ein Rausch in verschiedenen Klangfarben, in verschiedenen Zeiten, verschiedenen Welten. Das spricht auf verschiedene Arten die Musik auf dem Album an."
Eine wunderbare Brücke ist dabei das von Juri Vallentin komponierte Werk "Vortex – Cadenza for Rush".
Alte Tradition neu ausgelegt
Angelehnt ist das an die spätbarocke, klassische Tradition der Konzert-Kadenz. Das ist jene Passage, die dem Solisten mitten im Konzert allein gehört. "Wo man als Solist im Impuls musikalisch improvisiert über das, was in dem Konzert passiert ist. Und auch instrumentale Fähigkeiten zeigt. Das habe ich quasi fortgesponnen und auf das ganze Programm übertragen. Es ist also ein kurzes Solostück, bei dem die verschiedenen Einflüsse des Programms zusammenkommen."
Um dann wunderbar fließend wieder ins Original-Barocke zu gehen - in das Doppelkonzert für zwei Oboen von Antonio Vivialdi.

Technisch brillanter Start des Albums
Das Album startet mit dem hochvirtuosen Konzert von Giovanni Benedetto Platti. "Platti war ein italienischer Oboist und Komponist, der für sich selbst geschrieben hat. Also sehr fürs Instrument geschrieben. Es ist sehr einfallsreiche, sehr virtuose Musik", so Vallentin. Er findet, dass das herrliche Konzert viel zu selten zu hören ist.
Bruch mit Billie?
Und darauf folgt Juri Vallentins Arrangement von Billie Eilishs "Everything I Wanted". Wer das auf dem Booklet liest, der stutzt vielleicht. Wie soll das passen? Doch beim Hören wird schnell klar: das ist so fantasievoll für die klassischen Instrumente umgesetzt! So räumt man Zweifel aus. So verbindet man Welten, die man heutzutage ja auch lebt: Pop im Kopfhörer auf dem Weg zum Konzert, oder?
Für Juri Vallentin ist der frühe Song von Eilish eine Art Anti-Hymne:
"Selbst der größte Erfolg bringt nicht ganz DIE Erfüllung, die man sich erhofft hat. Und wenn man sich die Musik anschaut, ist es eine Form, die man auch oft in der Barockmusik findet. Das ist ein bestimmtes Pattern von Harmonien, das sich wiederholt und wiederholt und wiederholt ... Vor ein paar hundert Jahren hätte man das 'Passacaglia' genannt. Der Song hat genau diese Form. Und das symbolisiert natürlich auch wieder dieses sich Kreisende, was irgendwie kein Ziel findet. Es symbolisiert auch den Text. Für mich persönlich als Künstler ist das eine Erkenntnis, die ich irgendwann hatte: dass das nicht allein die ganze Erfüllung im Leben bringt. Es ist also tatsächlich ein persönlicher Song."
Perfektes Orchester-Match
Juri Vallentin hat mit seinen Freunden vom Hamburger ensemble reflektor geniale Partner gefunden. Das Orchester ist dafür bekannt, das es mit der historisch informierten Musizierweise sehr vertraut ist. Ihre Spielfreude auf heutigen Instrumenten macht das Alte so lebendig und gegenwärtig. Zudem ist das Ensemble mit neuer Musik und mit neuen Konzertformaten vertraut und hat hörbar Lust auf musikalische Experimente. Auch beim Song "Unholy" ist das zu spüren.
Gutes Ohr
Der Oboist hat dafür viele Cover-Varianten der Songs durchgehört. Dabei hat er sich immer wieder die Frage gestellt, wie er diese technisch produzierten Klänge für den klassischen Orchesterapparat "übersetzen" kann. Eine überzeugende Arbeit.
Seine Freunde haben so viel Spaß mit diesen Arrangements gehabte – Vallentin hat auch Marcellos Konzert noch einmal durch den eigenen "Filter" gezogen –, dass schon das Folgealbum in Arbeit ist. Wie gut für diejenigen, die Barockes mit Pop noch nie in solch einem Einklang gehört haben und nun schockverliebt sind - in "Rush" und bestimmt auch in das Folgealbum.
Cornelia de Reese, radio3