Album der Woche | 03.03. - 09.03.2025 - Timothy Ridout spielt Telemann, Bach, Britten und Shaw
Der britische Bratscher Timothy Ridout hat sich einen lang gehegten Herzenswunsch erfüllt: ein Album für Solo-Viola. Als Bratscher steckt man meistens in der Mitte von Kammermusikgruppen oder Orchestern. Selten spielt die Bratsche die sprichwörtliche "erste Geige". Ausgehend von dem Stück, das vielleicht so etwas ist wie der Mount Everest der Sologeigenliteratur ist, der Chaconne von Johann Sebastian Bach, hat Ridout Stücke vom Barock bis zur Gegenwart aufgenommen: Fantasien von Telemann, Bachs Partita Nr. 2, die Elegy des jungen Benjamin Britten und ein Stück der jungen US-Komponistin Caroline Shaw. Das schlägt die Brücke zur Renaissance und darin singt Ridout sogar.
"Seit langer Zeit, fast mein halbes Leben, wollte ich Bachs Chaconne spielen. Sie ist eins der Stücke, in die ich mich als Teenager verliebt habe, als ich ernsthaft die Bratsche entdeckte und das Spielen eines Streichinstruments. Ich habe so viele Aufnahmen und Videos großer Geiger der Vergangenheit gehört, so viele, die die Chaconne gespielt haben - sie war ein Grundstein meiner Denkweise", erzählt Timothy Ridout im Gespräch in Berlin.
Bachs große Chaconne auf der Bratsche ist tiefer gelegt, eine Quinte, 5 Töne. Das lässt diesen Finalsatz aus der Partita Nr. 2 für Solo-Violine noch geerdeter klingen, satter. Mit diesem Mammutsatz von 15 Minuten Länge krönt Timothy Ridout sein Solo-Album.
Violinmusik tiefergelegt
Dieser Höhepunkt der Violinliteratur auf einer Bratsche? Puristen mag das befremden. Aber erstens hat Bach selbst gerne die Bratsche gespielt. Und zweitens: Die allererste Aufnahme der Chaconne hat 1924 der britische Bratscher Lionel Tertis gemacht. 100 Jahre später hat Timothy Ridout nicht nur die Chaconne, sondern die ganze d-Moll-Partita aufgenommen.
In Bachs Courante ist Timothy Ridout auf der Bratsche genauso behende unterwegs, tänzerisch leicht, wie andere auf der Geige. Dabei ist seine Bratsche recht groß, die Finger der linken Hand, der Griffhand, müssen mehr arbeiten als Geigenhände, die Töne liegen weiter auseinander, die Saiten sprechen langsamer an. Ridout spielt ein sehr altes Instrument, gebaut wurde es um 1565 in Norditalien.

Telemann – Pionier des Bratschenkonzerts
Noch ein tiefergelegtes Barockstück: die Es-Dur-Fantasie für Sologeige von Georg Philipp Telemann, eine aus einem Dutzend solcher Fantasien. Ridout hat gleich zwei auf sein Album genommen. Eine Hommage an Telemann, denn der hat schließlich auch das allererste Bratschenkonzert komponiert!
Wie ist Timothy Ridout überhaupt zur Bratsche gekommen?
"Als ich acht war, habe ich mit der Bratsche angefangen. Damals gab es ein Schulkonzert. Jeder Lehrer spielte ein kurzes Stück und der Bratschenlehrer spielte das Thema aus 'Harry Potter'. 'Das Instrument nehme ich', sagte ich. Aber damals habe ich lieber gesungen! Ich habe viel gesungen. Bratscher zu werden, habe ich mit etwa mit 13 Jahren entschieden – im Stimmbruch.
Die ganze musikalische Energie, die ich immer hatte, musste ich kanalisieren. Da war die Bratsche! Und ich sagte: Ich will Viola spielen so gut ich es kann - und es wurde faszinierend, eine Obsession - und die begann, meine Tage zu fressen." (lacht)
Jugendwerk vom Bratscher Britten
Die Elegy für Solobratsche hat der Engländer Benjamin Britten am Tag seiner Schulentlassung geschrieben. Britten war auch Bratscher. Das melancholische Stück wurde erst nach dem Tod des Komponisten veröffentlicht.
Und dann schwärmt Ridout von den Möglichkeiten seines Instruments:
"Was ich wirklich liebe an der Viola, ist die Möglichkeit, so viele verschiedene Dinge zu machen, denn sie sitzt im Mittelregister. Du kannst also in Bassklang mitspielen, Du kannst mit allen möglichen Klängen in der Höhe mitspielen, Du kannst ein Solo spielen oder komplett unsichtbar die Mitte in einer Textur ausfüllen. Das ist die Breite der Rollen, die die Bratsche spielen kann.“
Ridout singt sogar
In keinem Stück des Albums sind die Klangmöglichkeiten vielfältiger als in Caroline Shaws "In manus tuas". Die US-Amerikanerin hat es erst für Cello komponiert, dann auch Versionen für Geige und Bratsche gemacht. "In manus tuas" – In deine Hände, oh Herr, befehle ich meinen Geist – schlägt die Brücke von der englischen Renaissance in die Gegenwart. Thomas Tallis schrieb die Motette, die Shaw als Grundlage genommen hat. Und sie lässt den Interpreten hier sogar singen!
"Jedes Stück nutzt das Instrument auf eine andere Weise. Hier ist es eine wunderbare Klangwelt – neu und alt gleichzeitig. Dann ist da der Britten, der aus einer ganz anderen Klangwelt kommt. Es ist das einzige Stück, in dem ich ein richtiges Vibrato anwende. Ich denke, alles zusammen wirft ein interessantes Licht auf die Bratsche und ihre Solo-Fähigkeiten und erzählt von einigen wichtigen musikalischen Einflüssen auf mich“, formuliert der Bratscher das Fazit.
Christian Schruff, radio3