Capella de la Torre: Abendmusik © deutsche harmonia mundi
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Album der Woche | 09.12. - 15.12.2024 - Capella de la Torre: "Abendmusik"

Die Berliner "Capella de la Torre", ein Ensemble vorwiegend von Bläsern, ist auf die Musik des späten Mittelalters und der Renaissance spezialisiert. Für ihr neues Album "Abendmusik" hat sich Ensembleleiterin Katharina Bäuml nun weit in den Barock vorgewagt. Die Musik des Lübecker Organisten Dieterich Buxtehude präsentiert sie in interessanten neuen Klangsphären, garniert mit Instrumentalsätzen meist kaum bekannter Vorgänger.

Dieterich Buxtehude ist eine prägende Musikerfigur des 17. Jahrhunderts – bekannt geworden durch seine Orgelwerke, aber auch dadurch, dass Johann Sebastian Bach mehr als 450 Kilometer weit wanderte, um dem verehrten Vorbild zu begegnen.

Fortschrittlich

Als Organist der Lübecker Marienkirche gestaltete Buxtehude in der Adventszeit eine Musikreihe mit geistlichen Werken, die Schule machen sollte. Als "Abendmusiken" bekannt, war sie nicht von der Kirche, sondern von der Kaufmannschaft der Hansestadt initiiert worden. Damit gilt sie als ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zum bürgerlichen Konzertleben. Allerdings weiß man nicht, ob die erhaltenen Werke Buxtehudes überhaupt in seinen Abendmusiken erklangen. Der Titel des Albums ist daher eher assoziativ denn Programm.

Kirchenmusik

Von Buxtehude sind neben Werken für Orgel und Cembalo sowie Streichersonaten vor allem geistliche Kompositionen erhalten. Ein paar seiner derartigen Kantaten und Konzerte bilden den roten Faden des Albums. Ergänzt werden sie um Tanzmusiksätze von fünf Vorgängern, die zumeist ebenfalls in Lübeck wirkten. Hier kann man Stücke von Tonsetzern kennenlernen, die heutzutage unbekannt sind. Dazu zählen der Ratsmusiker Nicolaus Bleyer genauso wie sein Schüler Nathanael Schnittelbach. Auch Buxtehudes Amtsvorgänger Franz Tunder ist mit zwei kurzen Musiken vertreten.

Bläsersound

Katharina Bäuml bewundert Buxtehudes Musik seit langem. Sie hat nun einen spannenden Ansatz gefunden, sich seinen Werken zu nähern: vom Sound der Renaissancemusik aus. Sie sagt: "Wenn man diese Musik auch oft mit Streicherbesetzung hört, so war mein Idee zu fragen: Was passiert, wenn man andere Klangfarben dazu bringt?" Immerhin lassen Lübecker Inventarlisten vermuten, dass die Stadtpfeifer bis weit ins 17. Jahrhundert hinein Pommern und Schalmeien verwendeten.

Katharina Bäuml, Oboe; © Promo
Bild: Promo

Instrumententausch

Buxtehude hat in seinen Vokalwerken in der Regel Violinen zur Begleitung der Sängerinnen und Sänger vorgesehen – insofern er dazu Angaben machte. Katharina Bäuml hat die Stücke so bearbeitet, dass oft nur eine Violine zusammen mit einem Zink oder einer Schalmei musiziert, diese beiden Blasinstrumente sich manchmal eine Stimme teilen oder nur Bläser – hier zusätzlich auch Posaune und Pommer – spielen.

Herber Klang

Der eher weiche Klang der Barockviolinen wird dabei durch den volltönenden und etwas herberen Sound der Blasinstrumente ersetzt. Die Stücke hören sich dadurch strahlender und feierlicher an. Besonders stark tritt dieser Effekt im Solokonzert "Quemadmodum desiderat cervus ad fontem" mit dem Tenor Florian Sievers hervor. Der vorwärtstreibende ostinate Bass der Begleitstimmen steigert diese Wirkung noch.

Historische Vorbilder

Durch viele Zeugnisse ist belegt, dass es im Barock üblich war, Besetzungen den jeweiligen Gegebenheiten oder Vorlieben anzupassen. Darauf kann sich Katharina Bäuml bei ihrer Auswahl der beteiligten Instrumente berufen. Sie fügt jedoch hinzu: "Es gibt natürlich auch eine Art von 'künstlerischer Freiheit', um zu sagen: Mein Ensemble ist einfach eines, dass seinen Schwerpunkt auf Blasinstrumente legt. Selbstverständlich sind da auch Streicher dabei, aber ich werde immer versuchen, die Blasinstrumente zum Einsatz zu bringen, wo es gut funktioniert, gut klingt und einen logischen Hintergrund hat."

Gesangsquartett

Neben Sievers kommen die Sopranistinnen Margaret Hunter und Isabel Schicketanz zu Soloeinsätzen. Zusammen mit dem Bass Martin Schicketanz bilden sie ein gut harmonierendes Gesangsquartett. Sie singen stilistisch sehr ähnlich, zugleich unaufdringlich und effektvoll. Dass ihr Vortrag auf zwei Tracks des Albums mit Schlagwerk ergänzt wird, ist in geistlicher Vokalmusik des Barock unüblich, fügt den Stücken jedoch eine diskussionswürde, interessante klangliche Facette hinzu.

Große Bandbreite

Die Bandbreite an Kompositionen auf dem "Abendmusik"-Album ist beachtlich. Sie reicht von Buxtehude-Messesätzen im "Stile antico" der vorangegangenen Epoche über ein Orgelstück, das in einen Bläsersatz verwandelt ist, bis zu kurzweiligen kleinen Tanzsätzen. Die Capella de la Torre führt alles in der gewohnt zuverlässigen und zupackenden – und dabei sehr sauberen – Weise auf, die man von ihr gewohnt ist. Sie veredelt Buxtehudes wunderbare Melodien auf sehr einnehmende Art.

Rainer Baumgärtner, radio3

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