Karl Ove Knausgård: Der Wald und der Fluss © Luchterhand
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Über Anselm Kiefer und seine Kunst - Karl Ove Knausgård: "Der Wald und der Fluss"

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Der Maler Anselm Kiefer gilt als einer der bedeutendesten Künstler der Gegenwart. Für seine großflächigen Bildlandschaften, die sich vor allem mit der deutschen Vergangenheit und dem Holocaust auseinandersetzen, hat er in diesem Sommer den Deutschen Nationalpreis bekommen. Im Kino läuft seit ein paar Wochen Wim Wenders Filmdokumentation über Anselm Kiefer. Parallel dazu ist nun ein Buch des norwegischen Schriftstellers Karl Ove Knausgård "über Anselm Kiefer und seine Kunst" erschienen: "Der Wald und der Fluss".

Wenn der Schriftsteller Karl Ove Knausgård dem Maler Anselm Kiefer begegnet, begegnen sich zwei Künstler, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Norweger Knausgård wurde bekannt mit seinen radikal autofiktionalen Werken, in denen er sich selbst und sein alltägliches Leben minutiös beschreibt, um im Persönlich-Konkreten das Geheimnis des Daseins aufzuspüren. Anselm Kiefers Werke dagegen sind monumental und ins Mythische überhöht. Sie sind, sagt Knausgård, "aufgeladen mit Zeit", "beladen mit Geschichte" unter vollkommener Abwesenheit von Menschen, von allem Privaten, Kleinen und Persönlichen.

Knausgård ist fasziniert von diesen Bildern, die ihm das Gefühl geben, "die Welt zu sehen, wie sie ohne andere ist" oder wie die Welt wäre, "wenn man selbst nicht mehr in ihr ist."

Entdeckung der Welt mit den Mitteln der Kunst

Knausgård und Kiefer beschreiten in ihrer Kunst gegensätzliche Wege, und doch treffen sie sich im Ziel, die Welt mit den Mitteln der Kunst so zu erkennen, wie sie wirklich ist. Denn nichts anderes ist Kunst als der Versuch, "zu dem vorzudringen, was ist und dessen Geheimnis zu enthüllen", sagt Knausgård, korrigiert sich jedoch sofort, weil er weiß, dass dieses Geheimnis unzugänglich bleibt, so dass allenfalls der Versuch, dorthin zu gelangen und dabei zwangsläufig zu scheitern, sichtbar werden kann.

Der Titel "Der Wald und der Fluss" nennt die Pole, zwischen denen Anselm Kiefer existiert. Der Wald steht für das Feste, Unveränderliche, Bedrohliche, Dunkle, den Tod. Der Fluss für das Bewegliche, Fließende, Unendliche, Lebendige. Beide Pole spielen in Kiefers Werk eine bedeutende Rolle. Das lässt sich bei einem Künstler, der an der Donauquelle im Schwarzwald geboren wurde, auch biographisch belegen.

Zwei unterschiedliche Kiefer-Porträts erscheinen zeitgleich: ein Glück

Es ist ein Zufall und ein großes Glück, dass Knausgårds "Der Wald und der Fluss" parallel zu Wim Wenders' Filmdokumentation "Anselm" erscheint. Beide Porträts ergänzen und bereichern sich in ihrer Bewunderung für Kiefers Kunst, in der Faszination für seine Atelierwelt und in den biografischen Passagen. Sie sind aber völlig verschieden in ihrer Haltung und in der Darstellung der Person Anselm Kiefers. Neigt Wenders zu Überhöhung und ehrfürchtigem Raunen, so holt Knausgård Kiefer auf den Erdboden zurück. Ist er bei Kiefer der große Schweiger, so wird bei Knausgård aus ihm ein Showman voller Herzlichkeit und Humor.

Rund fünf Jahre, von 2015 bis 2019, hat Knausgård sich mit Kiefer beschäftigt, um über ihn zu schreiben, und ihn in dieser Zeit immer wieder getroffen: in seinem Atelier in Paris, bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Freiburg und einer anschließenden Fahrt in Kiefers Geburtsort Donaueschingen, bei einer Ausstellung in Kopenhagen.

Kiefer erscheint dabei als komische Figur. Mit der Würde und Ernsthaftigkeit seiner Kunst hat dieser dauerwitzelnde, jeden Satz weglachende Derwisch, der sein Atelier in der ehemaligen Lagerhalle eines Warenhauses auf dem Fahrrad durchquert, wenig zu tun. Kiefer nennt Knausgård konsequent "Klaus" und glaubt, er komme aus Finnland. Er fragt ihn, ob er einen Hubschrauber besitze ("Sie sollten sich einen anschaffen"), beschäftigt drei Köche und eine Managerin, die alles für ihn erledigt, und ruft, wenn er Fragen hat, die auch Google beantworten könnte, einen Freund an, der auf alles eine Antwort hat.

Was verbindet die Person des Künstlers mit ihrer Kunst?

So fragt sich Knausgård zunächst, was die Person des Künstlers mit ihrer Kunst verbindet. Er kommt aber rasch dahinter, dass Kiefer nicht einfach Kunst produziert (das auch, denn er bedient den Markt für seine Ausstellung sehr gezielt), sondern dass er in der Kunst lebt, dass Kiefers Atelier – oder vielmehr diese Fabrikhalle voller seltsamer Dinge von Kleidungsstücken bis zu alten Flugzeugen – ein Umschlagplatz ist, auf dem die Materialien der Welt eine Transformation durchlaufen. Die Dinge werden in Kunst verwandelt, so dass sich "die Grenze zwischen Kunst und Wirklichkeit" aufzulösen beginnt und Kiefer selbst Teil dieses Verwandlungsvorgangs wird.

"Kiefers Kunst", sagt Knausgård, "ist ein Ort, in den er hineingeht, wenn er Schicht auf Schicht aus Farben, Blei, Stroh, Asche auf einer Leinwand aufträgt. Ein Ort, der in ihm und außerhalb von ihm ist."

Ein faszinierendes Künstlerbuch

Bei einem Autor wie Knausgård ist es so unvermeidlich wie selbstverständlich, dass eine Annäherung an Anselm Kiefer auch zu einem Buch über sich selbst und die eigene Suchbewegung geworden ist. Das macht den besonderen Reiz dieses faszinierenden Künstlerbuches aus. Je lebendiger Kiefer als Person wird, je plastischer seine Bilder erfasst werden, je präziser das Porträt wird, umso deutlicher wird darin auch der fragende, sehende, beobachtende, nachdenkende Karl Ove Knausgård, der in der Auseinandersetzung mit Kiefer zum Wesen der Kunst und weiter: zum Sinn des Seins vordringen möchte.

In dieser Suche offenbart sich der Künstler, der Maler Kiefer ebenso wie der Schriftsteller Knausgård. Wenn Knausgårds These stimmt, dass Kunst aus dem Kampf zwischen dem der sieht, und dem was ist, entsteht, dann ist dieses Porträt eines Künstlers selbst hohe Kunst und ist es auf radikalere, grundsätzlichere Weise als Knausgårds Tausendseitenromane.

"Der Wald und der Fluss" ist ein Meilenstein in seinem Werk.

Jörg Magenau, rbbKultur

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